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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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festgelegten Tages- und Wochenplänen.
    Pauline seufzte leise. Sie hatte sich nie Gedanken über die Arbeit der Dienstmädchen im Haushalt der Buschners gemacht. Schon nach wenigen Stunden hier wusste sie, dass es Knochenarbeit war.
    Seit ihrer Kindheit hatte sie allein mit ihrem Onkel, Theobald Schmitz, einem bekannten Badearzt aus Bad Bertrich, zusammengelebt. Natürlich hatten sie eine Wirtschafterin gehabt, Agathe, die für den Haushalt zuständig war und kochte. Außerdem kümmerte sich ein Hausdiener um den Onkel und erledigte die schweren Arbeiten wie Holz hacken und schwere Kisten schleppen.
    Pauline hatte erst die Volksschule besucht und danach eine kleine private Mädchenschule, die von einem Frauenverein ins Leben gerufen worden war. Ihr Onkel hatte alles dafür getan, ihr eine gute, umfassende Ausbildung zu ermöglichen, ganz so, wie es der Wunsch ihrer Eltern gewesen war. Diese waren vor vielen Jahren bei einem Unfall mit einer Kutsche ums Leben gekommen. Leider war Pauline von dem Erbe ihrer Eltern nicht viel geblieben. Lediglich eine kleine Mitgift, die der Rede kaum wert war, und die Kosten für ihre Ausbildung waren abgedeckt. Das bescheidene Vermögen ihrer Eltern hatte ein Cousin geerbt.
    Dennoch hatte Pauline sich nie als arm empfunden. Sie hatte ein behagliches Zuhause; ihr Onkel war ein ruhiger, freundlicher Mann gewesen, der sie gernhatte und sich bemühte, ihr eine gute Erziehung zukommen zu lassen.
    Pauline hatte es ihm in diesem Punkt leicht gemacht. Sie liebte Bücher, hatte Stunden in seiner kleinen Bibliothek zugebracht oder in der Schulbücherei. Sie hatte sich bemüht, immer zu den besten Schülerinnen zu gehören, und konnte neben Lesen, Schreiben und Rechnen auch Englisch, Französisch und Italienisch sprechen und schreiben. Sie verfügte über Kenntnisse in Geographie und Geschichte, hatte Pianoforte- und Tanzunterricht erhalten und bei Gesellschaften immer wieder mit ihrer schönen Singstimme für Beifall gesorgt. Sie konnte nähen, sticken und knüpfen, hatte Zeichenunterricht erhalten und so manche Stunde mit dem Bemalen von kleinen Kommoden, Stühlen oder Truhen zugebracht. Auch die Grundzüge der Haushaltsführung waren ihr vertraut.
    Selbstverständlich hatte all diesen Bemühungen um eine umfassende Ausbildung der Wunsch des Onkels zugrunde gelegen, sie eines Tages gut zu verheiraten. Und Interesse hatte sie tatsächlich bei so manchem Mann geweckt. Der Onkel hatte sich aber nicht recht entschließen können. Je länger sie zusammenlebten, desto weniger wollte er sie fortgehen lassen. Manch wohlmeinender Nachbar oder Freund hatte ihn gemahnt, Pauline nicht zur alten Jungfer verkümmern zu lassen, doch Onkel Theobald hatte immer lachend abgewinkt. Alte Jungfer? Nein, das war seine geliebte Pauline gewiss nicht. Sie hatte noch so viel Zeit, so viele Möglichkeiten. Als der Onkel plötzlich an einem Gehirnschlag starb, war Pauline von einem Tag auf den anderen allein. Ihr Cousin hatte auch dieses Erbe eingestrichen, noch bevor alle Trauerfeierlichkeiten vorbei und alle Tränen getrocknet gewesen waren. Zwei Wochen später fuhr er bereits auf einem Schiff in Richtung New York.
    Und nun war sie also eine Magd. Gewaltsam bemühte sie sich, die Zeit in Bonn aus ihren Gedanken auszuklammern. Es brachte nichts, sich über Vergangenes zu grämen. Vielmehr musste sie sich auf die Gegenwart konzentrieren. Niemand hier wusste von ihrer Ausbildung und von ihrem Wunsch, als Gouvernante ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Vermutlich hätte ihr auch kaum jemand geglaubt, geschweige denn ihr die Chance gegeben, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nicht nachdem sie in einem schmutzigen Kleid und mit nichts als einer kleinen Reisetasche und ohne jede Referenz durch Köln geirrt war. Sie musste Fortuna wirklich dankbar für die Anstellung sein, obwohl sie erbärmlich fror und ein nagendes Hungergefühl in ihrer Magengrube saß. Frau Stein hatte ihr lediglich einen Teller Wassersuppe und einen Kanten Brot zum Abendessen zugestanden; das war das Einzige, was Pauline heute gegessen hatte. Sie hatte auch keine eigene Schlafkammer. Ihr Lager befand sich auf einem winzigen Hängeboden über dem Hausflur, der nur über eine wackelige Hühnerleiter zu erreichen war, die tagsüber abgeschlagen wurde. Aufrecht stehen konnte sie hier oben nicht, und das schmale Bett mit der muffigen, durchgelegenen Matratze und eine Kleidertruhe füllten den Raum komplett aus. Tine hatte zwar gesagt, dass dieses Lager
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