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Das Haus in den Dünen

Das Haus in den Dünen

Titel: Das Haus in den Dünen
Autoren: Ulrich Hefner
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ihr Trevisan zu, doch die Frau zuckte nur mit den Schultern. Er drückte auf den Fahrstuhlknopf. Sekunden verrannen, bis sich endlich die Tür öffnete, Trevisan kamen sie wie eine halbe Ewigkeit vor.
    Er war beinahe am Ende seiner Kräfte, aber sein ungutes Gefühl trieb ihn voran. Als im fünften Stock die Tür aufging, sah er sich einer älteren Dame in Schwesterntracht gegenüber. »Können Sie mir sagen, wie ich auf das Dach komme?«, fragte Trevisan atemlos.
    »Was, um Gottes Willen, wollen Sie denn auf dem Dach?«
    Trevisan zückte seinen Dienstausweis. »Wo zum Teufel geht’s aufs Dach!«, herrschte er die Frau an.
    Verblüfft starrte sie auf die Polizeimarke. »Die Fluchttüren, aber die sind verschlossen und öffnen sich nur im Notfall.«
    »Das ist ein Notfall!«, erwiderte Trevisan.
    Die Frau überlegte. »Sie werden sie nur öffnen können, wenn Hausalarm ausgelöst wird. Ansonsten …«
    »Bitte schnell«, zischte Trevisan.
    »Ansonsten über das Treppenhaus, aber da brauchen Sie einen Schlüssel. Und den hat nur der Hausmeister.«
    Trevisan atmete rief ein. »Wo ist das Treppenhaus?«
    »Die graue Tür, dort vorne«, antwortete die Frau.
    Trevisan hastete durch die graue Tür ins Treppenhaus. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Die Tür zum Dach stand offen. Trevisan hielt inne und betrachtete das aufgebrochene Schloss. Er atmete tief durch, dann zog er seine Pistole und trat durch die Tür hinaus ins Freie.

 
     
50
    Sie hatte eine günstige Stelle gefunden. Gleich neben dem Lüftungsschacht. Von dort aus konnte sie Bergens Zimmer einsehen. Durch ihr Visier waren die Konturen des Mannes hervorragend auszumachen. Einhundertunddreißig Meter. Siebzig Meter näher als damals die Gämse in den Alpen.
    Sie öffnete den Koffer und holte die Patronen hervor. Zwei Schuss mussten reichen. Eine Dublette zur Sicherheit. Wenn sie einmal das Ziel anvisiert hatte, würde die geniale Rückstoßdämpfung verhindern, dass der Lauf zu weit vom Ziel auswanderte. Sie kannte sich gut aus mit der Technik der Waffe. Die Ladung in der Patrone würde das Geschoss auf über 700 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Bei dieser Entfernung traf das Projektil noch immer mit über 650 km/h auf das Ziel. Trotz der Fensterscheibe wäre die Aufprallenergie so groß, dass das Geschoss den Schädel des Mannes beinahe spalten konnte. Bergen hatte keine Chance.
    Sie schob die Patronen ins Patronenlager und stellte das Visier auf die Entfernung ein. Das Hensoldt-Visier war eines der besten und verlässlichsten auf dem Markt. Mit der bestechend guten Gegenlichtblende und einer extrem feinen Sucherabstimmung ergab sich eine ideale Verbindung zwischen der Waffe und dem Schützen. Sie erinnerte sich an früher, als sie mit ihrem Vater Stunden auf dem Schießstand zugebracht hatte. Eigentlich, so hatte ihr Vater einmal zu ihr gesagt, habe ich mir einen Jungen gewünscht, aber du stehst den Jungs in nichts nach. Das war kurz nach einem Wettkampf gewesen, bei dem sie ihre männliche Konkurrenz weit hinter sich gelassen und sich den Titel der unterfränkischen Meisterin in der Altersklasse der Junioren gesichert hatte.
    Vorsichtig kniete sie nieder. Die Waffe legte sie auf der kniehohen Einfassung des Daches auf. Sie suchte Bergens Zimmer, das letzte Zimmer im Westflügel. Sie drehte an der Stellschraube und das Bild wurde klarer. Der Winkel war ideal. Mühelos durchdrang ihr Blick im Visier die Fensterscheibe, die Entspiegelungsautomatik sorgte für ein ausgezeichnetes Schussfeld. Der Mann, der am Fenster stand und hinausblickte, war gut auszumachen. Er trug einen Anzug und eine unpassend grüne Krawatte zu seinem blauen Hemd. Sie suchte weiter, bis die Mitte des Strichbildes auf dem Kopf des Mannes im ersten Bett hinter dem Fenster haften blieb. Bergen schaute sogar aus dem Fenster. Es war fast, als warte er darauf, dass er dem Tod begegnete.
    »Adieu«, flüsterte sie. Langsam schmiegte sich ihr Finger um den Abzug. Sie atmete tief ein und hielt die Luft an. Plötzlich glitt ein Vorhang vor das Fenster.
    »Verflucht!«, zischte sie.
    *
    Vorsichtig schob Trevisan seinen Kopf durch den Türspalt. Er blickte nach Westen. Dort musste sie sein, denn nur aus dieser Position konnte sie das Zimmer einsehen. Doch er sah weit und breit keine Menschenseele. Mehrere meterhohe Abluftschächte verwehrten Trevisan den Überblick über das gesamte Dach. Ein mit Platten ausgelegter Fußweg führte in westliche Richtung. Das Dach war über und über mit
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