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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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Medizin, sagte ich laut und meinte damit Ojibwe-Medizin. Die alten Medizinmenschen wussten, wie man mit Träumen umgehen musste, hatte Mooshum gesagt. Aber sein Geist war jetzt weit weg; er versuchte den Körper in dem Klappbett am Fenster hinter sich zu lassen. Die einzige andere Medizinkundige, die ich kannte, war Grandma Thunder. Vielleicht konnte ich sie fragen, was ich tun sollte. Natürlich würde ich ihr keine Details erzählen oder ihr verraten, was passiert war. Ich wollte nur einen Rat wegen dieser Träume. In dem Moment kam mir ausgerechnet Bugger Pourier in den Sinn. Wahrscheinlich, weil ich das letzte Mal an Grandma Thunder gedacht hatte, als ich ihn zu ihr schickte, nachdem er mein Fahrrad geklaut hatte. Wegen eines Traums.
    Ich setzte mich auf. Er hatte herausfinden wollen, ob irgendetwas ein Traum gewesen war. Die Lebhaftigkeit meines eigenen Traums, der mich nicht losließ, und Buggers konzentrierte, volltrunkene Entschlossenheit verschmolzen miteinander. Was hatte er gesehen? Ich hatte mir Buggers Hunger zunutze gemacht, um ihn zum Umdrehen zu bewegen und mein Fahrrad wiederzubekommen. Aber ich hatte ihn nicht gefragt, was er gesehen hatte. Ich stand auf und zog mich an, frühstückte und fuhr los. Wenn man Bugger finden wollte, suchte man hinter den Häusern, zuallererst hinter der Dead Custer Bar. Ich suchte den ganzen Vormittag und fragte jeden, der mir unterwegs begegnete, aber niemand wusste etwas. Schließlich fuhr ich zurPost. Da hätte ich gleich hingehen sollen, wie sich herausstellte. Aber ich hatte nicht daran gedacht, weil der arme Bugger keine Adresse besaß.
    Er ist im Krankenhaus, sagte Linda. Oder nicht?, rief sie Mrs. Nanapush zu, die hinten Briefe sortierte.
    Er hat sich den Fuß kaputtgemacht, als er eine Kiste Bier klauen wollte. Hat sie sich auf den Fuß fallen lassen. Also liegt er flach, und seine Schwestern sagen, es könnte sich am Ende sogar als Segen erweisen, weil er so vielleicht trocken wird.
    Ich radelte zum Krankenhaus, um Bugger zu besuchen. Er teilte sich ein Zimmer mit drei anderen Männern. Sein Fuß war eingegipst und hing in einer Schlinge, wobei ich mich fragte, ob das wirklich für den Heilungsprozess notwendig war oder ihn ans Bett fesseln sollte.
    Junge! Er freute sich, mich zu sehen. Hast du mir ein Tröpfchen mitgebracht?
    Nein, sagte ich.
    Sein lebhafter Gesichtsausdruck wich einem Schmollen.
    Ich wollte dich was fragen.
    Nicht mal einen kleinen Blumenstrauß, grollte er. Oder Pfannkuchen.
    Willst du Pfannkuchen?
    Ich hab Pfannkuchen gesehen. Whiskey. Spinnen. Pfannkuchen. Echsen. Pfannkuchen sind das einzig Schöne, das ich sehe. Aber hier geben sie einem alten Mann nichts als Haferschleim. Haferschleim und Kaffee. So ein ödes Frühstück.
    Nicht mal Toast?, fragte ich.
    Das könnte ich kriegen, wenn ich wollte, sagte er. Aber ich frage immer nach Pfannkuchen. Bugger sah mich kämpferisch an. Ich bestehe auf Pfannkuchen!
    Ich muss dich was fragen.
    Dann frag. Du kriegst die Antwort, wenn ich einen Pfannkuchen kriege.
    Okay.
    Und Whiskey. Er beugte sich verschwörerisch vor. Bring mir ein schönes Tröpfchen mit, aber lass die anderen nichts davon merken. Versteck es unter deinem Hemd.
    Mach ich.
    Bugger lehnte sich wieder zurück und sah mich erwartungsvoll an.
    Weißt du noch, als du mein Fahrrad geklaut hast?
    Sein Blick wirkte leer. Ich sprach langsam und wartete nach jedem Satz, bis er nickte.
    Du hast vor dem Mighty Al’s gesessen. Da stand mein Fahrrad. Du bist aufgestiegen und losgefahren. Ich bin rausgekommen und habe gefragt, wo du hinwillst. Du hast gesagt, du wolltest rausfinden, ob etwas ein Traum war.
    Buggers Augen leuchteten auf.
    Weißt du es wieder?
    Nein.
    Ich malte ihm die Szene noch fünf- oder sechsmal aus, bis Buggers Verstand endlich in der Lage war, sich der jüngeren Vergangenheit zuzuwenden. Er war jetzt ganz still und konzentrierte sich so fest, dass ich fast die Zahnräder knirschen hören konnte. Während sich seine Gedanken sortierten, änderte sich sein Gesichtsausdruck, aber so allmählich, dass ich es erst bemerkte, nachdem ich mich entnervt abgewandt hatte: Er war wie versteinert. Er starrte auf irgendetwas zwischen uns. Ich dachte, dass er etwas halluzinierte, und zwar keinen Pfannkuchen, denn das hätte ihn ja gefreut, sondern irgendein Insekt oder Reptil. Aber dann schlich sich Mitleid in seine Züge, und er japste: Das arme Mädchen!
    Welches Mädchen?
    Das arme Mädchen.
    Er begann trocken und stoßweise zu
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