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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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rau. Ich ließ das Buch auf den Stuhl neben mir gleiten, stand auf und gab ihm mein Wasserglas. Er leerte es in einem Zug. Er wiederholte seine Frage nicht, sondern wir wechselten einen Blick, der mir irgendwie erwachsen vorkam, so als wüsste er, dass ich sein Buch gelesen und seine Welt betreten hatte. Er sah mir in die Augen, bis ich den Blick senkte. Eigentlich war ich gerade erst dreizehn geworden. Vor zwei Wochen war ich noch zwölf gewesen.
    Bei der Arbeit?, fragte ich, um seinen Blick abzuschütteln. Ich war davon ausgegangen, dass er wusste, wo sie war, dass er es bei seinem Anruf herausgefunden hatte. Mir war klar, dass sie nicht wirklich arbeitete. Jemand hatte sie angerufen, und dann hatte sie gesagt, sie wolle im Büro ein, zwei Ordner holen. Als Spezialistin für Fragen der Stammeszugehörigkeit beschäftigte sie sich wahrscheinlich gerade wieder mit einem Antrag. Sie war die Leiterin einer Ein-Mann-Abteilung. Es war Sonntag, deshalb diese Stille. Die Sonntagsnachmittags-Flaute. Selbst wenn sie anschließendnoch bei ihrer Schwester Clemence vorbeigeschaut hätte, wäre Mom inzwischen heimgekommen, um Abendbrot zu machen. Das wussten wir beide. Frauen ahnen gar nicht, wie wichtig den Männern ihre Gewohnheiten sind. Ihr Kommen und Gehen senkt sich uns in jede Körperfaser, ihre Rhythmen in unser Knochengerüst. Unser Pulsschlag gleicht sich ihrem an, und wie an jedem Wochenende warteten wir darauf, dass meine Mutter uns auf den Abend einstimmte.
    Und deshalb stand ohne sie die Zeit einfach still.
    Was sollen wir tun, fragten wir gleichzeitig, was mich schon wieder beunruhigte. Zumindest übernahm mein Vater diesmal die Initiative.
    Wir holen sie ab, sagte er. Als ich meine Jacke überzog, war ich trotz allem froh darüber, wie bestimmt das klang – sie abholen, nicht nur suchen, nicht nachsehen, wo sie bleibt. Wir würden losziehen und sie holen.
    Sie hat einen Platten, erklärte er. Hat wahrscheinlich noch jemanden nach Hause gebracht und dann einen Platten gekriegt. Diese verdammten Schotterpisten. Wir gehen runter zu deinem Onkel, leihen uns sein Auto und holen sie ab.
    Sie abholen, schon wieder. Ich lief neben ihm her. Wenn er erst einmal in Schwung kam, war er noch immer kraftvoll und schnell.
    Er war spät Anwalt und dann Richter geworden und hatte spät geheiratet. Auch für meine Mutter war ich überraschend gekommen. Mein alter Mooshum nannte mich Oops; das war sein Spitzname für mich, und leider fanden andere Verwandte ihn witzig. Deshalb werde ich manchmal selbst heute noch Oops genannt. Wir liefen den Hügel runter zum Haus meines Onkels und meiner Tante – einem blassgrünen HUD-Haus, das von schützenden Pappeln und drei edel wirkenden Blaufichten umstanden war. Auch Mooshum lebte dort in einem zeitlosen Dunst. Wir waren alle stolz auf seine extreme Langlebigkeit. Erwar uralt, kümmerte sich aber immer noch um den Garten. Wenn er sich draußen verausgabt hatte, legte er sich zum Ausruhen auf ein Feldbett am Fester – ein Reisighaufen, der vor sich hin döste und manchmal ein trockenes, keckerndes Geräusch von sich gab, wahrscheinlich ein Lachen.
    Als mein Vater Clemence und Edward erzählte, meine Mutter hätte einen Platten und wir bräuchten ihr Auto, als hätte er diesen mysteriösen kaputten Reifen mit eigenen Augen gesehen, hätte ich fast losgelacht. Anscheinend hatte er sich selbst eingeredet, dass seine Vermutung richtig war.
    Wir fuhren im Chevrolet meines Onkels rückwärts die kiesbedeckte Auffahrt runter und machten uns auf den Weg zum Stammesbüro. Umrundeten den Parkplatz. Leer. Die Fenster dunkel. Am Ende der Zufahrt bogen wir rechts ab.
    Ich wette, sie ist nach Hoopdance gefahren, sagte mein Vater. Brauchte noch was fürs Abendbrot. Vielleicht wollte sie uns überraschen, Joe.
    Ich bin der zweite Antone Bazil Coutts, aber ich würde es jedem zeigen, der ein Junior oder eine Zahl hinter meinen Namen setzt. Oder mich Bazil nennt. Ich hatte schon mit sechs beschlossen, Joe zu heißen. Mit acht fiel mir auf, dass ich den Namen des Vaters meines Vaters gewählt hatte, meines Großvaters Joseph, von dem ich nur die Eintragungen in den Büchern mit den bernsteingelben Seiten und den trockenen Ledereinbänden kannte. Er hatte uns gleich mehrere Regale dieser Antiquitäten vererbt. Es ärgerte mich, dass ich keinen nagelneuen Namen hatte, der mich von der langweiligen Ahnenreihe der Coutts abgehoben hätte – lauter verantwortungsbewussten, aufrechten, gelegentlich sogar
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