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Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes
Autoren: Louise Erdrich
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Es war immer noch hungrig. Und warum? Weil es nie das Richtige kriegen konnte, egal, wie viel es fraß. Immer fehlte ihm etwas. Und seiner Mutter auch. Ich kann dir genau sagen, was ihnen fehlte: Ich. Meine starke Seele. Ja, ich! Meine Mutter ist nie darüber hinweggekommen, was sie ihrem Baby angetan hat, aber noch weniger, dass ihre Tat mich nicht vernichtet hat. Trotzdem, sinnierte Linda, trotzdem hat sie es fertiggebracht, mich anzurufen, nachdem sie dem Arzt gesagt hatte, er solle mich sterben lassen. All die Jahre danach. Einfach anzurufen und zu sagen: Hallo, hier spricht deine Mutter .
    Ich schwieg.
    Und er konnte nicht loslassen, sagte sie. Er kam immer wieder und wieder hierher zurück, als ob er wollte , dass jemand sein Monster tötete, aber mir ist auch noch ein anderer Grund eingefallen.
    Welcher?
    Er war nervös wegen Mayla. Ich weiß genau, dass sie irgendwo hier im Reservat ist. Er musste immer wieder nachsehen und sichergehen, dass niemand sie findet.
    Glauben Sie, dass sie lebt?
    Nein.
    Nach einer Weile kroch Angst in mir hoch. Ich fragte: Bin ich so wie er?
    Nein, sagte sie. Das hier wird dir ganz schön zusetzen, Joe. Oder wem auch immer. Es könnte dich kaputtmachen. Lass nicht zu, dass es dich kaputtmacht. Was hättest du schon tun sollen? Oder hätte wer auch immer tun sollen?
    Sie zuckte mit den Schultern. Aber mit mir sieht es anders aus. Ich bin diejenige, die ihm ähnlich ist, Joe. Ich hätte ihn erschießen sollen, am besten mit Alberts alter Zwölfer-Flinte. Obwohl, wenn Linden die Wahl gehabt hätte, hätte er sich sicher für das Jagdgewehr entschieden.
    Yeah, um das geht es auch.
    Das Gewehr.
    Es liegt unter Ihrer Veranda. Könnten Sie es verstecken? Es aus dem Reservat wegbringen?
    Sie grinste von einem Ohr zum anderen, und ich dachte nur: wahnsinnig , aber dann biss sie sich auf die Lippe und blinzelte bescheiden.
    Das hat Buster längst gefunden, Joe. Er merkt schon, wenn etwas Neues in seinem Revier auftaucht. Ich dachte erst, er hätte ein Stinktier aufgestöbert. Dann habe ich runtergeguckt und ein Stück von dem Plastiksack gesehen.
    Sie bemerkte, wie erschrocken ich war.
    Keine Sorge, Joe. Willst du wissen, wo ich in meiner freien Zeit gewesen bin? In Pierre, bei meinem Bruder Cedric. Er hat eine Ausbildung in Fort Benning in Georgia hinter sich und wusste genau, wie man so ein Gewehr zerlegt. Ein paar Teile haben wir in den Missouri geworfen. Dann bin ich in einem Zickzackkurs, an den ich mich nicht mal mehr selbst erinnern kann, über die Nebenstraßen hierher zurückgefahren und habe den Rest in irgendwelchen Tümpeln versenkt. Sie hielt ihre leeren Hände hoch und sagte: Du kannst wem-auch-immer sagen, dass er ganz beruhigt sein kann. Ihre Augen umwölkten sich, ihr Blick wurde sanfter.
    Wie geht’s deiner Mom?
    Sie war im Garten, Buschbohnen ernten. Sie sagt, es geht ihr gut, aber, ich meine, sie hat es immer noch mal und noch mal gesagt, damit ich ihr auch glaube.
    Ich werde sie mal besuchen. Gib du ihr das hier.
    Linda holte etwas aus der Tasche und hielt ihre Faust über meine Hand. Als sie sie öffnete, fiel eine kleine schwarze Schraube heraus.
    Sag ihr, dass sie sie in ihrer Schmuckschatulle aufbewahren kann. Oder sie vergraben. Ganz wie sie mag.
    Ich steckte die Schraube ein.
    Auf halbem Weg nach Hause, mit dem Wind im Rücken unddem üblichen, diesmal gefrorenen Folienziegel unter meinem halb betäubten Arm, begriff ich, dass die Schraube in meiner Tasche ein Teil des Gewehrs sein musste. Vom Wind getrieben, musste ich nicht einmal halten oder den Lenker benutzen. Ich angelte sie heraus und schleuderte sie in den Straßengraben.
    * * *
    Diesmal war es eine Flasche Captain Jack’s, die Angus dem Freund seiner Mutter geklaut hatte, eine Handvoll Valiumpillen und eine halbvolle Einkaufstasche mit gekühltem Blatz-Dosenbier.
    Wir tranken am Rand der Baustelle. Immer wenn die lahmen Bulldozer und die Bagger damit fertig waren, die Erdhaufen hin und her zu schieben, gehörte das Gelände uns. Manchmal ließen sie unsere Fahrradparcours intakt, und manchmal machten sie all unsere Arbeit zunichte. Wir hatten keine Ahnung, was dort gebaut werden sollte. Es war immer dieselbe Menge Erde da.
    Ein Bundesprojekt, sagte Zack.
    Cappy spülte mit seinem Bier eine Pille runter, legte sich auf den Rücken und starrte in die Blätter über ihm. Das Licht wurde allmählich golden.
    Das ist meine liebste Tageszeit, sagte er. Er nahm ein kleines Schulfoto von Zelia aus der
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