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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Autoren: Melisse J. Rose
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Verfügung zu stehen. L’Étoile war das nur recht. Alles, was ihn an Paris gebunden hatte, war ihm vor sechs Jahren, während der Schreckensherrschaft, genommen worden. Dort erwarteten ihn nur noch Erinnerungen.
    Während Saurent den letzten Mörtel entfernte, trat der Parfümeur näher und besah sich die Schnitzereien auf dem Türblatt. Auch hier zog sich eine Borte aus Blauem Lotus um den Rand und rahmte Schriftfelder mit unleserlichen Hieroglyphen, wie man sie in Ägypten überall fand. Vielleicht würde der unlängst in der Hafenstadt Rosette entdeckte Stein helfen, die Zeichen zu entschlüsseln.
    »Fertig«, meldete Saurent, übergab sein Werkzeug einemder ägyptischen Burschen und klopfte sich den Staub von den Händen.
»Mon Général?«
    Napoleon trat vor und versuchte, den noch immer glänzenden Messingring zu bewegen. Hustete. Zog fester. Der General war drahtig, beinahe mager, und L’Étoile hoffte, dass er stark genug wäre. Endlich hallte ein lautes Knarren durch das Gewölbe, und die Tür sprang auf.
    Saurent und L’Étoile traten zu dem General auf die Schwelle, und alle drei hielten ihre Kerzen in die Dunkelheit. Ihr flackernder Lichtschein fiel in einen mit Schätzen reich gefüllten Korridor.
    Doch was L’Étoile von diesem Augenblick ein Leben lang im Gedächtnis bleiben sollte, waren nicht die meisterhaft ausgeführten Wandgemälde, nicht die Alabasterkrüge, die filigran geschnitzten Figurinen oder die mit Kostbarkeiten gefüllte hölzerne Truhe. Es war der warme, duftende Lufthauch, der ihn umschmeichelte.
    Der Parfümeur erkannte den Geruch des Todes und der Vergangenheit. Matte Dünste von welken Blüten, Früchten, Kräutern und Hölzern streiften ihn. Die meisten kannte er, doch es gab andere. Schwächere, fremdere Noten. Kaum spürbar waren sie, doch sie faszinierten und zogen ihn an wie ein verführerischer, sehnsuchtsvoller Traum, der sich gerade in nichts aufzulösen begann.
    L’Étoile ignorierte Saurents Warnung vor dem Schritt ins Unbekannte, vor Schnappfallen und lauernden Schlangen, genauso wie Abus Sorgen um rastlose Geister, die sich als gefährlicher erweisen konnten als jedes giftige Reptil. Seiner Nase folgend, drängte er sich vor und tastete sich mit seiner Kerze ins Dunkel voran, begierig, mehr von diesem mysteriösen Duft in sich aufzunehmen.
    Er folgte dem reich verzierten Gang in die Grabkammer und sog die abgestandene Luft tief in sich ein, um mehr zuerfahren. Dann atmete er enttäuscht wieder aus, so heftig, dass seine Kerze erlosch.
    Vielleicht waren es die tiefen Atemzüge oder die durchdringende Dunkelheit. Vielleicht war es die stickige Atmosphäre der Kammer, die ihn schwindlig machte. Doch was es auch war – dieses Schwindelgefühl verstärkte seinen Eindruck von dem zarten Duft. Endlich konnte er einzelne Bestandteile unterscheiden: Weihrauch und Myrrhe, Blauen Lotus und Mandelöl, allesamt häufige Zutaten ägyptischer Parfüms. Aber da war noch etwas, ein flüchtiges, zartes Aroma, das sich ihm immer wieder knapp entzog.
    L’Étoile war in der dunklen Grabkammer so in seine Konzentration versunken, dass er die sich nähernden Schritte der anderen nicht bemerkte.
    »Was ist das für ein Geruch?«
    L’Étoile fuhr zusammen und drehte sich nach Napoleon um, der soeben eingetreten war.
    »Einer, der seit Jahrhunderten begraben lag«, flüsterte er.
    Abu erklärte den nach und nach eintretenden Männern, dass sie sich nun in der Sargkammer befanden, und machte sie auf die farbenfrohen Wandmalereien aufmerksam. In einem der Bilder schmückte der Verstorbene eine große Statue mit Schakalkopf und stellte ihr Speisen zu Füßen. Hinter ihm war eine schöne, zierliche Frau in einem transparenten Gewand zu sehen, die ein Tablett voller Fläschchen in Händen hielt. In dem Bild daneben zündete sie gerade ein Stück Rauchwerk an, und eine Rauchfahne wand sich daraus empor. Noch ein Bild weiter war wieder der Schakalköpfige zu sehen, von Tiegeln, Destillierkolben und Kaltpressen umgeben, wie sie L’Étoile von der Parfümerie seines Vaters in Paris her kannte.
    L’Étoile wusste um den hohen Stellenwert des Parfüms im Alten Ägypten, doch so viele Bilder von der Herstellung und dem Gebrauch von Duftstoffen hatte er noch nie gesehen.
    »Wer war dieser Mann?«, fragte Napoleon Abu. »Wissen wir es schon?«
    »Noch nicht
, mon Général«
, antwortete Abu. »Aber dort finden wir wahrscheinlich weitere Hinweise.« Er deutete in die Mitte des Raums.
    Der schwarze
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