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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Autoren: Katherine Webb
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südlicher Richtung zum Dorf unterwegs gewesen sei, um dort seine Milch auszuliefern. Als er sich der Brücke näherte, habe er Robin Durrant über die Wiese zum Kanal laufen sehen, mit dem Mädchen auf den Armen, ganz zerschmettert und tot. Er habe den Mörder niedergeschlagen, und George Hobson sei den Treidelpfad entlanggekommen und ins Wasser gesprungen, um die junge Frau herauszuholen, obwohl sie offensichtlich schon tot gewesen sei und man nichts mehr für sie habe tun können. Hester versucht, ihren Geist davor zu verschließen, vor dem unaussprechlichen Schmerz, den George empfunden haben muss, als er Cat so sah. Cat, der scharlachrotes Wasser aus dem schwarzen Haar sickerte, die dünnen Glieder erschlafft, das kleine, spitze Gesicht zerschlagen. Die Bilder treffen sie wie Peitschenhiebe. »Ein paar Minuten zu spät, um sie zu retten«, stöhnt George mit vor Trauer verzerrtem Gesicht. »Ich kam nur ein paar Minuten zu spät.« Robin Durrant wird des Mordes angeklagt und zur Verhandlung dem Schwurgericht der Grafschaft Berkshire übergeben. Er reagiert nicht auf dieses Urteil. Er reagiert auf überhaupt nichts.
    Am Sonntag nach Cats Tod hält Reverend Albert Canning seine Predigt wie gewohnt, vor einer voll besetzten Kirche, die vor Aufregung geradezu summt – eine verbotene, pietätlose Erregung, die seine Gemeinde dennoch weder unterdrücken noch verhehlen kann. Die Leute sind gekommen, um die Cannings zu sehen, die den ganzen Sommer lang einen Mörder bei sich beherbergt haben, deren Dienstmädchen mit einem Stein der Schädel eingeschlagen wurde und die im Mittelpunkt des größten Skandals stehen, den die Gemeinde je erlebt hat. Hester sitzt in der ersten Reihe, wo sie immer sitzt, mit starrem Rücken und prickelnder Haut. Die Flut flüsternder Stimmen steigt, brandet schon gegen ihren Nacken und droht ihr über dem Kopf zusammenzuschlagen. Albert verliert in seiner Predigt kein Wort über Cat. Hester lauscht ihm voll Bestürzung. Er wiederholt eine Predigt über materielle Reichtümer, die er erst drei oder vier Wochen zuvor gehalten hat, und starrt dabei über die Gemeinde hinweg, als sei er in Gedanken meilenweit entfernt. Die Worte fallen abgehackt aus seinem Mund wie Holzklötze – hart und trocken und tot, als glaubte er selbst kein einziges mehr davon. Zu Hause sitzt er still im Salon und fragt weder nach seinem Tagebuch noch nach der Ledertasche oder seinem Fernglas. Er fragt nie mehr nach diesen Dingen, und Hester spricht ihn auch nie darauf an. Ihr Albert ist fort, und dieser Schlafende hat seinen Platz eingenommen, dieser Mann aus Eis und Schatten, der kaum spricht, kaum isst und nur noch das Haus verlässt, wenn seine Pflichten in der Gemeinde es erfordern. Alberts Platz hat ein Mann eingenommen, den sie überhaupt nicht kennt – eine leere Hülle, ein Lügner. Sie beobachtet ihn mit Grauen im Herzen, sie fürchtet sich vor ihm und davor, was sie getan hat, um ihn zu schützen. Dieser Mann ist ein Fremder. Und vielleicht, vielleicht sogar ein Mörder.
    Mittwoch, den 15. Oktober 1911
    Sehr geehrter Herr,
    weshalb antworten Sie nicht auf meine Briefe? Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden könnte, und ich muss mir manche Gedanken von der Seele reden, denn sonst verliere ich den Verstand. Ich habe früher stets an meine Schwester geschrieben, und wir beide hatten keine Geheimnisse voreinander, doch nun gibt es Dinge, von denen ich nicht einmal ihr schreiben kann; also schreibe ich sie Ihnen. Warum äußern Sie sich nicht? Wenn es wahr ist, was ich glaube, weshalb schweigen Sie weiterhin? Vielleicht kenne ich den Grund: Sie wollen Ihr eigenes Geheimnis hüten – das Geheimnis des Elementargeistes und dieser Fotografien, die Sie veröffentlicht haben. Sie wollen Ihren Namen und Ihren Platz in der Geschichte, den Sie sich selbst geschaffen haben, um jeden Preis bewahren. Doch würden wir in einer schrecklichen Welt leben, wenn eine Lüge als schändlicher gälte denn ein Mord. Glauben Sie wirklich, dass Sie sich für das Verbrechen mit der geringeren Schuld entschieden haben?
    Ich habe Ihre Tasche gefunden, die jemand zurück ins Haus gebracht hat. Ich habe gesehen, was darin war, und Alberts Fernglas. Ich kenne Ihr Geheimnis – das Geheimnis, das zu bewahren Sie sogar eine Gefängnisstrafe auf sich nehmen. Sind Sie auch willens, dafür zu sterben? Man könnte Sie hängen! Und was nützt Ihnen Ihr Ruf als Theosoph, wenn Sie als Mensch jegliches Ansehen verloren haben? Wird Ihre ach so
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