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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern
Autoren: Charlotte Link
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Parteifreunden über die Frage beraten, welchen Verteidiger er wählen sollte. Einstimmig sei ihm Barbara Amberg genannt worden. »Die holt jeden raus!«
    Das stimmte so natürlich nicht. Aber sie konnte eine Reihe von Erfolgen verbuchen.
    »Glaubst du, er war es?« fragte Ralph. Er tippte mit dem Finger auf das kleine Bild von Peter Kornblum am Fuß der Seite.
    Barbara schüttelte den Kopf. »Nie im Leben. Er ist überhaupt nicht der Typ. Aber trotzdem ist er nun politisch ruiniert. Seine Frau hat die Scheidung eingereicht. Er ist fertig.« Sie nahm die Zeitung und schob sie in das Haltenetz am Vordersitz. »Vergiß es jetzt«, sagte sie, »wir verreisen. Und in zwei Tagen ist Weihnachten.«
    Er lächelte gequält. Zum ersten Mal begann Barbara ernsthaft daran zu zweifeln, ob es ein guter Einfall gewesen war, ihren Mann in die Einsamkeit zu entführen, um ihre Ehe zu retten.

    Seit sechzehn Jahren immer das gleiche: Jedesmal wenn Laura Selley Westhill House für mehrere Tage oder Wochen verließ, um es Mietern zu überlassen, die dafür bezahlten, sich hier breitmachen und wie Hausherren aufführen zu dürfen, ging sie auf jene stets ergebnislose, mühselige, deprimierende Suche nach etwas, wovon sie letzten Endes nicht einmal sicher wußte, ob es überhaupt existierte. Jagte sie einem Phantom hinterher? Hatte sie nicht längst jeden einzelnen Winkel dieses alten Farmhauses durchstöbert? Suchte sie nicht immer und immer wieder an denselben Stellen, wohl wissend, daß es kaum in der Zwischenzeit dort aufgetaucht sein konnte?
    Keuchend schob sie sich aus dem Wandschrank heraus, in den sie trotz ihrer schmerzenden Knochen hineingekrochen war, um in seinem Inneren zum hundertsten Mal das Unterste zuoberst zu kehren. Mit ihren siebzig Jahren war sie nicht mehr die Jüngste, zudem plagten sie seit Jahren heftige rheumatische Beschwerden, die besonders im Winter oft unerträglich wurden. Die kalten, rauhen Winde, die in die Täler Yorkshires brausten, machten die Krankheit nicht besser. Es würde ihr guttun, die Weihnachtstage und den Jahreswechsel bei ihrer Schwester im milden Südosten Englands zu verbringen. Wenn nur nicht in der Zwischenzeit fremde Menschen ...
    Sie stand vor dem Schrank, richtete sich langsam auf und preßte dabei leise stöhnend die Hand ins Kreuz. Ihr Blick ging zum Fenster hinaus über die hügeligen Wiesen Wensleydales, die im Sommer so grün und leuchtend waren, jetzt aber kahl und grau schienen. Nackte Baumäste bogen sich im Wind. Tiefhängende, geballte Wolken jagten über den Himmel. Ein paar Schneeflocken wirbelten in der Luft. Der Radiosprecher hatte heute früh gesagt, daß sie über Weihnachten hier in Nordengland mit Schnee rechnen mußten.
    Man wird sehen, dachte Laura, man wird sehen. Wird ein langer Winter werden, so oder so. Es ist immer ein langer Winter hier oben. Ich sollte das Haus verkaufen und in ein warmes Land ziehen.
    Dann und wann hegte sie diesen Gedanken, wußte aber gleichzeitig genau, daß sie es nie tun würde. Westhill House war die einzige Heimat, die sie je gekannt hatte, ihre Zuflucht, ihre Insel in der Welt. Sie war gefesselt an dieses Haus, an dieses Land, auch wenn sie die Einsamkeit haßte, die Kälte, die Erinnerungen, mit denen sie hier zusammengesperrt war. Es gab keinen anderen Ort, an dem sie hätte leben können.
    »Wo könnte ich noch suchen?« überlegte sie laut. Im Haus wimmelte es von Wandschränken, kleinen Kammern, verwinkelten Ecken. Laura kannte sie alle, hatte in ihnen allen herumgekramt. Nie hatte sie etwas von Bedeutung gefunden. Vermutlich gab es nichts zu finden. Vermutlich machte sie sich nur verrückt.
    Sie verließ das Zimmer und stieg die steile Treppe ins Erdgeschoß hinab, ging in die Küche. Hier brannte ein warmes Feuer im Herd, und es roch nach den Weihnachtsplätzchen, die Laura am Vormittag gebacken hatte, um sie ihrer Schwester mitzubringen. Obwohl es seit fast vierzig Jahren einen Elektroherd in der Küche gab, benutzte Laura mit Vorliebe das eiserne Ungetüm aus der Zeit der Jahrhundertwende, auf dem früher für die ganze große Familie gekocht worden war. Sie hielt an alten Dingen verbissen fest, so ängstlich, als könne sie einen Teil von sich verlieren, wenn sie sich von etwas trennte, das einst zu ihrem Leben gehört hatte. Alles Neue empfand sie als feindselig. Sie fand die Entwicklung, welche die Welt nahm, höchst bedrohlich und bemühte sich, jeden Gedanken daran rasch zu verdrängen.
    Sie setzte Wasser auf, denn sie
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