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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern
Autoren: Charlotte Link
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hatte das starke Bedürfnis nach einer Tasse heißen Tee. Dann mußte sie packen und die Betten für die Gäste beziehen. Morgen im Laufe des Tages würden sie eintreffen. Ein Ehepaar aus Deutschland. Sie hatte noch nie deutsche Gäste hier gehabt. Für sie waren die Deutschen noch immer Feinde aus zwei Weltkriegen, aber andererseits war auch Peter Deutscher gewesen. Doch an ihn mochte sie auch nicht denken, und es wäre ihr wirklich lieber gewesen, Franzosen oder Skandinavier hier aufzunehmen. Aber sie brauchte dringend Geld, und es hatte sich sonst niemand gefunden, der Westhill House über Weihnachten mieten wollte.
    Laura inserierte regelmäßig in einem Katalog, der Ferienhäuser anbot. Mit ihrer bescheidenen Rente hätte sie die vielen anfallenden Reparaturen nicht bezahlen können, hätte das alte Haus dem schleichenden Verfall preisgeben müssen. Das Vermieten stellte die einzige Möglichkeit dar, hin und wieder etwas dazuzuverdienen, auch wenn sie es einfach haßte, Fremde hier einzulassen. Jetzt zum Beispiel mußte dringend das Dach neu gedeckt werden, spätestens vor dem nächsten Winter. Aber es war schwer, Gäste zu finden. Wer in den Norden reiste, fuhr in den Lake District oder gleich nach Schottland hinauf. Yorkshire, das Land der Berge und Moore, der kalten Winde, der wuchtigen, aus Kalkstein gebauten Häuser, lockte nicht viele Touristen. Wer an Yorkshire dachte, hatte Blei-und Kohleminen vor Augen, rußige Schornsteine, düstere Arbeitersiedlungen in nebligen Tälern.
    Wer wußte schon etwas von den lieblichen, heiteren Frühlingstagen, die das Land mit leuchtendgelben Narzissen überschwemmten? Wer kannte die hellen, graublauen Schleier über dem Horizont in heißen Sommerwochen? Wer hatte je den würzigen Duft gerochen, den der Wind im Herbst in die Täler wehte? Wie immer, wenn Laura an all dies dachte, stieg die Liebe zu diesem Land wie ein plötzlicher Schmerz in ihr auf, ließ ihren Atem stocken. Dann wußte sie wieder, daß sie nie fortgehen würde. Daß sie die langen Winter ertragen würde. Die Einsamkeit. Die Erinnerungen. Wen man wirklich liebt, den verläßt man nicht, das war Lauras feste Überzeugung, auch wenn man sich immer wieder über ihn ärgert. Man geht vielleicht mit ihm zusammen eines Tages zugrunde, aber man geht nicht fort.
    Der Wasserkessel pfiff. Laura goß das heiße Wasser über die Teeblätter. Allein der würzige Geruch legte sich besänftigend über ihre Nerven; nach dem ersten Schluck, das wußte sie aus Erfahrung, würde sie ein neuer Mensch sein.
    »Laura und ihre Tasse Tee«, hatte Frances immer gespottet, »damit kuriert sie Bauchschmerzen, Wadenkrämpfe, Alpträume und Depressionen. Was sie betrifft, so müßte es auf der ganzen Welt keine andere Medizin geben.«
    Frances hatte auch gern Tee getrunken, aber nie Probleme mit seiner Hilfe lindern können. Sie hatte sich an härtere Sachen gehalten.
    »Ein guter Scotch auf Eis«, hatte sie gesagt, »und die Welt ist in Ordnung! «
    Sie hatte jeden Mann unter den Tisch trinken können. Für ihre Leber schien es keine Schmerzgrenze gegeben zu haben.
    Laura zog die dicken, geblümten Vorhänge vor das Fenster, sperrte die einfallende Dunkelheit und den heulenden Wind aus. Der Gedanke an Frances hatte sie wieder nervös werden lassen. Jetzt bedrängte sie erneut die Vorstellung, die fremden Gäste könnten zwei Wochen lang Tag für Tag im Haus herumstöbern. Die Menschen waren neugierig. Sie fanden gern Dinge über andere heraus. Laura wußte das, weil sie auch manchmal in fremde Schubladen blickte. Einmal war ein Brief, der an die Leighs drüben vom Herrenhaus gerichtet war, versehentlich bei ihr abgegeben worden. Einen halben Tag lang war sie um ihn herumgeschlichen, dann hatte sie es nicht mehr ausgehalten und ihn über Wasserdampf geöffnet. Zu ihrer bitteren Enttäuschung enthielt er nichts als eine Einladung einer Familie aus Hawes zum Frühlingsfest.
    Mit ihrer Teetasse in der Hand ging Laura hinüber ins Eßzimmer, überprüfte, ob sich das gute Porzellan und die Weingläser ordentlich aufgeräumt in den Schränken befanden. Die weißen Leinentischdecken lagen glattgebügelt und Kante auf Kante gefaltet im entsprechenden Fach unter der Anrichte. Das silberne Besteck war nach Löffeln, Messern, Gabeln und unterschiedlicher Größe in samtausgeschlagene Kästchen geordnet. Laura nickte zufrieden. Die Deutschen sollten nicht die feinen Nasen rümpfen können.
    Sie zog auch hier die Vorhänge zu und schickte sich
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