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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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meine Verbindung zu Dir. Würde ich das Haus verlieren, würde ich auch Dich noch einmal verlieren. Ich sagte Alexandrine, dass ich gedacht hatte, dieses Haus würde ewig leben, ewig stehen, ungeachtet der Zeit, der Kriege, der Ereignisse, so wie die Kirche heute noch immer steht. Ich hatte gedacht, dieses Haus würde nach Dir, nach mir weiterleben und eines Tages würden hier andere kleine Jungen lachend die Treppen hinunterrennen, andere schlanke, dunkelhaarige Mädchen sich aufs Sofa neben dem Kamin kuscheln, andere Herren in aller Ruhe am Fenster lesen. Ich hatte gedacht, das Haus würde Zeuge der Sorgen, Freuden und Tragödien anderer Familien werden. Wenn ich nach vorn blickte oder es zumindest versuchte, sah ich das Haus immer unverrückbar vor mir. Es schien unverändert. Ich hatte geglaubt, es würde Jahr für Jahr denselben Geruch wahren, dieselben Risse in der Wand, die knarrenden Stufen, die unebenen Bodenfliesen in der Küche, die einfallenden Sonnenstrahlen je nach Jahreszeit.
    Ich habe mich geirrt. Das Haus war dem Abbruch geweiht. Und ich würde es nie verlassen. Alexandrine hörte ganz ruhig zu, sie unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Ich verlor jedes Zeitgefühl, und meine Stimme ertönte im Halbdunkel wie eine Art Signal, das uns in die Morgendämmerung, in den Tag führte. Ich glaube, nach einer Weile schlief sie ein, ich auch.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, wusste ich, dass Gilbert hier war. Ich hörte, wie er sich oben zu schaffen machte, und Kaffeeduft drang zu uns herunter. Alexandrine regte sich murmelnd. Ich strich ihr zärtlich das Haar aus dem Gesicht. Sie sah so jung aus, wie sie hier in meinen Armen lag, ihre Haut wirkte frisch und rosig. Ich fragte mich, warum noch kein Mann ihr Herz erobert hatte und wie ihr Leben aussah, abgesehen von den Blumen, die für sie lebenswichtig waren. War sie einsam? Sie war wirklich ein geheimnisvolles Geschöpf. Als sie schließlich erwachte, merkte ich, dass sie nicht genau wusste, wo sie war. Sie konnte nicht glauben, dass sie hier unten neben mir geschlafen hatte. Ich brachte sie in die Küche hinauf, wo Gilbert Kaffee gekocht hatte. Sie sah ihn an und nickte. Als sie sich dann an unser nächtliches Gespräch erinnerte, wirkte sie ernüchtert. Sie nahm meine Hand und hielt sie ganz fest, mit flehentlicher, banger Miene. Aber ich blieb hart. Ich schüttelte den Kopf.
    Mit einem Mal wurde ihr Gesicht tiefrot, sie packte mich an den Schultern und schüttelte mich heftig.
    »Das können Sie nicht tun! Das können Sie nicht tun, Madame Rose!«
    Sie schrie so, dass ihre Stimme sich überschlug, Tränen liefen ihr über die Wangen. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber sie wollte nichts hören, ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Sie hatte regelrecht einen hysterischen Anfall. Gilbert sprang auf, verschüttete dabei Kaffee und riss sie von mir weg.
    »Was ist mit den Menschen, die sich um Sie sorgen, die Sie brauchen?«, zischte sie keuchend und versuchte sich tretend und boxend von Gilbert loszumachen. »Was soll ich denn ohne Sie tun, Madame Rose? Wie können Sie mich einfach so verlassen? Merken Sie denn nicht, wie egoistisch Sie sind? Ich brauche Sie, Madame Rose. Ich brauche Sie, wie die Blumen den Regen brauchen. Sie sind mir so wichtig. Spüren Sie das denn nicht?«
    Ihre Sorge berührte mich tief. Noch nie hatte ich sie in einem solchen Zustand erlebt. Zehn Jahre lang hatte ich Alexandrine als eine aufgeräumte, herrische Person gekannt. Sie wusste sich Respekt zu verschaffen. Niemand konnte sie hintergehen. Und nun saß sie weinend hier, am Boden zerstört vor Trauer, und streckte die Hände nach mir aus. Wie ich das tun könne, fragte sie wieder, wie ich so grausam sein könne, so herzlos. Ob ich nicht begriffen hätte, dass ich wie eine Mutter für sie war, ihre beste Freundin, ihre einzige Freundin.
    Ich hörte zu. Ich hörte zu und weinte auch, still, ich wagte nicht länger, sie anzusehen. Unkontrolliert rannen mir die Tränen herunter.
    »Sie könnten zu mir ziehen«, sagte sie leise, erschöpft, ihre Stimme war nur noch ein Krächzen. »Ich würde mich um Sie kümmern, würde Sie beschützen, Sie wissen, dass ich das für Sie tun würde, Madame Rose. Ich würde Sie nie allein lassen, Sie würden nie wieder allein sein.«
    Gilberts tiefe dröhnende Stimme erschreckte uns beide.
    »Das reicht jetzt, Mademoiselle«, vermeldete er. Alexandrine sah ihn an, er sah sie an und strich sich belustigt über seinen schwarzen Bart.
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