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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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sah auf die Uhr. Er zündete ein Zigarillo an und blies wichtigtuerisch den Rauch aus, dann bat er mich, meine Beschwerde vorzubringen. Ich erklärte ihm ganz ruhig, dass ich gegen den Abriss meines Hauses sei. Er fragte nach meinem Namen und meiner Adresse, schlug ein dickes Buch auf und fuhr mit dem Finger über ein paar Seiten. Dann brummte er:
    »Cadoux, Rose, verwitwete Bazelet, wohnhaft Rue Childebert 6.«
    »Ja, Monsieur«, sagte ich, »das bin ich.«
    »Sie sind vermutlich nicht mit der Entschädigungssumme einverstanden, die die Präfektur Ihnen zuwies.«
    Er sagte es gelangweilt, mit verächtlicher Gelassenheit, und besah sich dabei seine Fingernägel. Wie alt war dieser eingebildete Fatzke?, fragte ich mich wütend. Zweifellos hatte er vergnüglichere Dinge im Kopf, ein Mittagessen mit einer jungen Dame oder ein Galadiner am Abend. Was sollte er tragen? Den braunen Frack oder den blauen? Und fände er davor noch Zeit, seine Haare einzudrehen? Ich sagte nichts, saß einfach nur vor ihm, eine Hand hatte ich flach auf den Schreibtisch zwischen uns gelegt.
    Als er mich schließlich anblickte – wahrscheinlich erstaunte ihn meine Schweigsamkeit –, sah ich Wachsamkeit in seinen Augen aufblitzen. Er dachte wohl: Die da wird Theater machen, ich komme zu spät zum Mittagessen. Ich sah mich mit seinen Augen: eine respektable, gut gekleidete ältere Dame, die in ihrer Jugend, also vor Ewigkeiten, vermutlich ein hübsches Mädchen gewesen war und nun gekommen ist, um mehr Geld zu fordern. Das taten sie alle. Und manchmal bekamen sie es auch. Das dachte er wohl.
    »Welche Summe haben Sie sich vorgestellt, Madame Bazelet?«
    »Ich glaube, Sie haben den Inhalt meines Antrags nicht ganz erfasst, Monsieur.«
    Er versteifte sich und hob eine Augenbraue.
    »Dann erklären Sie sich bitte, Madame.«
    Ach, diese Ironie in seiner Stimme, dieser Spott. Ich hätte ihn in sein glattes rundes Gesicht schlagen mögen!
    Ich sagte noch einmal ganz deutlich:
    »Ich bin gegen den Abriss meines Hauses, des Elternhauses meines Mannes.«
    Er unterdrückte ein Gähnen.
    »Ja, Madame, soweit habe ich das verstanden.«
    »Ich will kein Geld.«
    Er war verdutzt.
    »Was wollen Sie dann, Madame?«
    Ich holte tief Luft.
    »Ich will, dass der Präfekt den Boulevard Saint-Germain weiter von der Kirche entfernt baut. Ich will mein Haus in der Rue Childebert behalten.«
    Das Kinn fiel ihm herunter. Er starrte mich an. Dann brach er in Gelächter aus, ein hässliches, gurgelndes Lachen. Oh, wie ich ihn hasste! Er lachte und lachte, und der krötengesichtige Mann hinter ihm lachte auch. Dann ging eine Tür auf, und ein Mann schaute herein, der sich schließlich auch vor Lachen die Seiten hielt, als dieses Früchtchen grölte: »Madame will, dass der Präfekt den Boulevard verlegt, damit ihr Haus stehen bleibt.« Sie kicherten fröhlich und lachten sich krumm, während sie mit dem Finger auf mich zeigten.
    Es gab nichts weiter zu sagen oder zu tun. Ich stand auf, so würdevoll, wie es ging, und verließ den Raum. Im Vorzimmer wischte sich Doktor Nonant mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Als er mein Gesicht sah, schüttelte er den Kopf und hob verzweifelt die Hände. Madame Paccard tätschelte meinen Arm. Natürlich hatten sie das Gelächter gehört. Das ganze Hôtel de Ville hatte es gehört.
    Es waren noch mehr Leute gekommen, die Luft war abgestanden und drückend. Wir hasteten hinaus. Und als wir die Treppen hinuntergingen, da sahen wir ihn plötzlich.
    Der Präfekt. Er überragte alle und jeden hier, er stand ganz in unserer Nähe, so nah, dass wir jäh innehielten und laut den Atem einsogen. Ich hatte ihn, wie ich Dir sagte, schon einmal gesehen, aber nicht aus nächster Nähe. Nun stand er eine Armeslänge von mir entfernt. Ich konnte die Poren seiner Haut sehen, sie war leicht gefleckt und rötlich, ich sah den streng getrimmten krausen Bart, das Leuchten seiner eisblauen Augen. Er war korpulent, fast fett, seine Hände waren wie Schinkenhälften, gewaltig.
    Wir drückten uns an den Handlauf, als er, gefolgt von ein paar Beamten, vorbeirauschte. Er roch nach ranzigem Schweiß, Alkohol und Tabak. Er sah uns nicht. Er machte einen entschlossenen, unbeugsamen Eindruck. Ich hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und sein fleischiges Handgelenk gepackt, damit er mich ansah, um meinem Hass, meiner Angst, meiner Beklommenheit freien Lauf zu lassen und ihn anschreien zu können, dass er mit der Zerstörung meines Hauses meine
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