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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose
Autoren: Tatiana de Rosnay
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Erinnerungen, meine Existenz, die Grundfesten meines Lebens zerstört. Doch meine Hand blieb schlaff an meiner Seite hängen. Und dann war er weg.
    Schweigend verließen wir drei das Hôtel de Ville, wir hatten den Kampf verloren. Wir hatten uns nicht getraut, den Präfekten anzusprechen, keiner von uns hatte sich getraut. Nun konnten wir nichts mehr tun. Die Rue Childebert war dem Untergang geweiht. Der Doktor würde seine Patienten verlieren, Madame Paccard ihr Hotel und ich unser Haus. Es gab keine Hoffnung mehr. Es war vorbei.
    Draußen war es mild, fast zu warm. Ich band meinen Hut fest, als wir die Brücke überquerten. Für den Verkehr auf dem Fluss, die Kähne und Boote, die auf und ab fuhren, hatte ich keinen Blick, auch dem dichten Straßenverkehr um uns herum mit Doppeldeckerbussen und eifrigen Droschkenkutschern schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich hörte noch immer das widerliche Lachen, meine Wangen brannten.
    Als ich nach Hause kam, Liebster, war ich so erzürnt, dass ich mich hinsetzte und einen langen Brief an den Präfekten schrieb. Ich trug Germaine auf, ihn zum Postamt zu bringen und umgehend aufzugeben. Ich habe keine Ahnung, ob er ihn je gelesen hat. Aber es tat mir gut, ihn zu schreiben. Es nahm mir ein wenig die Last von der Seele. Ich erinnere mich wortwörtlich an diesen Brief. Schließlich ist es ja noch nicht so lange her, dass ich ihn geschrieben habe.

Monsieur le Préfet,
    sicherlich werden Sie diesen Brief nie lesen. Aber vielleicht findet mein Schreiben doch den Weg zu Ihnen, es ist eine winzige Möglichkeit, die ich nutzen will.
    Sie kennen mich nicht. Und Sie werden mich auch niemals kennenlernen. Ich heiße Rose Bazelet, geborene Cadoux, und ich lebe in der Rue Childebert, die nun zugunsten der Weiterführung der Rue de Rennes und des Boulevard Saint-Germain abgerissen werden soll.
    Ich habe Sie in den letzten fünfzehn Jahren ertragen. Ich habe Ihre Umbauarbeiten ertragen, Ihre Unersättlichkeit, Ihre Unerbittlichkeit. Ich habe den Staub, die Unannehmlichkeiten, die Ströme von Schlamm, die Berge von Schutt, die Zerstörungen und schließlich die Entstehung einer pompösen Stadt ertragen, eines Paris, das nun zu einem Abbild der Gewöhnlichkeit Ihres Vorhabens wird. Und ich habe die Verstümmelung des Jardin du Luxembourg ertragen. Ich habe genug.
    Ich war heute im Hôtel de Ville wie viele andere Pariser in meiner Lage, um gegen den Abriss meines Hauses zu protestieren. Mit welchem Hochmut ich empfangen wurde, will ich lieber nicht schildern.
    Sind Sie sich bewusst, dass es Bürger in dieser Stadt gibt, die weder mit Ihren Planungen einverstanden sind noch mit der Art und Weise, wie diese Pläne in die Tat umgesetzt werden? Sind Sie sich bewusst, dass Sie »der Attila der geraden Linie« genannt werden? »Bauchaufschlitzer«, »Ripper-Baron«. Vielleicht lä cheln Sie über diese Spitznamen. Vielleicht haben der Kaiser und Sie ja beschlossen, sich nicht mit der Meinung des gemeinen Volkes über Ihre »Verschönerungen« aufzuhalten. Tausende Häuser wurden abgerissen. Tausende Menschen wurden gezwungen, ihre Sachen zu packen und umzuziehen. Natürlich sagen Ihnen, der Sie in der gut erhaltenen Pracht des Hôtel de Ville sicher und abgeschirmt sind, solche Strapazen nichts. Und für Sie ist das alles ja vornehmlich eine materielle Angelegenheit. Sie meinen, ein Elternhaus sei einfach eine gewisse Summe wert. Für Sie ist ein Haus lediglich ein Haus. Ich habe gelesen, dass Sie beim Bau des Boulevards, der nun Ihren Namen Haussmann trägt, nicht einmal Halt davor gemacht haben, Ihr Geburtshaus abreißen zu lassen. Ich finde, das sagt alles über Sie aus.
    Erleichtert lese ich in den Zeitungen, dass die Zahl Ihrer Feinde wächst, vor allem seit der bedauernswerten Angelegenheit bezüglich der Friedhöfe. Die Menschen fragen sich nun, welche Auswirkungen die vollständige Umgestaltung unserer Hauptstadt für die Zukunft haben wird. Die unwiderruflichen Veränderungen haben ganze Gemeinden, Viertel und Familien auseinandergerissen und sogar Erinnerungen ausgelöscht. Die ärmsten Einwohner von Paris wurden vor die Stadtgrenzen vertrieben, denn sie können sich die Mieten in diesen neuen, modernen Häusern nicht mehr leisten. Darunter werden die Pariser noch viele Jahre zu leiden haben.
    Der Schaden ist angerichtet. Ich gehe nicht mehr durch die Straßen meiner Stadt, weil sie mir fremd geworden ist.
    Vor fast sechzig Jahren wurde ich, genau wie Sie, hier geboren. Nach Ihrer Ernennung
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