Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Autoren: Monica McInerney
Vom Netzwerk:
Mädchen namens Jessica Eloise Faith Baum das Licht der Welt erblickte, aus vier dann fünf.
    »Jetzt sind wir eine richtige Familie«, sagte meine Mutter. Ich weiß noch, dass ich mich gefragt hatte: Was waren wir denn vorher?
    Mum verkündete bei der Gelegenheit auch, dass sie meinen Nachnamen ändern lassen wolle, in Baum. »Das ist sonst zu verwirrend. Wir sollten alle gleich heißen.«
    »Aber ich bin gern eine Fox«, protestierte ich.
    »Fox kann ja dein Zweitname bleiben«, sagte Mum. »Dann hast du wenigstens eine Erinnerung an deinen Vater. Wenn er sich sonst schon keine Mühe gibt, mit dir Kontakt zu halten.«
    Damit hatte sie leider recht. Von Dad hörte ich nur sporadisch etwas, und das auch nur am Telefon. Er schickte Weihnachtsgeschenke und Geburtstagskarten, in denen stand, dass ich ihn unbedingt in seinem neuen Heim besuchen müsse, doch der Besuch fand niemals statt. Mum sprach, wenn es eben ging, gar nicht mehr von ihm. Freunden gegenüber nannte sie ihre erste Hochzeit nur den »Großen Fehler«. Bei uns fand sich kein einziges Hochzeitsbild. Die Fotos waren, als wir bei Walter und Charlie eingezogen waren, auf unerfindliche Weise verloren gegangen. Wie alle Bilder von Dad. Wenn mir Onkel Lucas nicht zum Ausgleich – und auf meine Bitte hin – neue Fotos geschickt hätte, hätte ich irgendwann nicht mehr gewusst, wie mein Vater ausgesehen hatte. Lucas und ich waren seit jenem Tag in London zu Brieffreunden geworden. Ich fand es toll, einen Brieffreund auf der anderen Seite der Welt zu haben, erst recht, wenn er mit mir verwandt war.
    Und es war auch Lucas, der einen Monat nach meinem zwölften Geburtstag bei uns anrief und uns mitteilte, dass mein Vater beim Absturz eines Kleinflugzeugs ums Leben gekommen war. Er schrieb mir gleich im Anschluss.
    Meine liebe Ella ,
    ich weiß, Du hast Deinen Vater eine Weile nicht gesehen, aber ich weiß auch, dass er darüber traurig war. Und ich weiß ebenfalls, dass Du einen neuen Vater und sogar eine neue Familie hast, und ich hoffe sehr, dass es Dir gut geht. Aber falls Du doch irgendwann einen Rat von dem schlauen Fuchs brauchst, der Dein Onkel ist, schick mir einfach einen Brief oder auch ein Fax – ich habe gerade ein sehr schickes Faxgerät bekommen –, dann antworte ich Dir, so schnell ich kann.
    Ob Lucas geahnt hatte, was er mit diesem einfachen, liebevollen Brief entfesseln würde? Seit jenem Tag nämlich war er zu einer Mischung aus Kummerkastenonkel, imaginärem Freund und Sparringspartner geworden, alles dank des Wunders Faxgerät.
    Mein Stiefvater arbeitete manchmal von zu Hause aus, daher war auch sein Arbeitszimmer mit sämtlicher Technik ausgestattet. Ich hatte ihn einmal beim Absenden eines Telefax beobachtet und war tief beeindruckt gewesen. Da ich mich so interessiert gezeigt hatte, ließ er mich auch eins abschicken. Walter erklärte es mir in seinem nahezu perfekten Englisch. In solchen Momenten, wenn er mir etwas beibrachte und ich es aufmerksam befolgte, haben wir uns immer am besten verstanden. Ansonsten haben wir uns in Ruhe gelassen oder ignoriert. Das ging problemlos, ohne den anderen zu verletzen – meine Mutter entließ einen derart steten Wortschwall in die Welt, dass sie mit ihrem Geplapper und ihrer dezidierten Meinung jede Gesprächspause und jede Kluft in unserer Beziehung überbrückte. Und natürlich konnte Walter mit Charlie sprechen, auf Englisch und auf Deutsch, und mit Baby Jess. Seinen richtigen Kindern. Aus heutiger Sicht ist mir bewusst, dass es für ihn ebenfalls nicht einfach war, ebenso für meine Mum, denn sie mussten sich beide an ein Baby und auch jeder an ein Stiefkind gewöhnen. Doch damals habe ich mich oft einsam und traurig gefühlt. Wie der Babyfuchs in Lucas’ Arbeitszimmer.
    Zwei Tage nach Lucas’ Brief, als Mum und Walter bei einem Geschäftsessen waren und eine Nachbarin – die den Fernseher anmachte, kaum dass Mum und Walter fort waren – auf Charlie, Jess und mich aufpassen sollte, schlich ich mich in Walters Büro und schaltete das Faxgerät ein.
    Ich folgte Lucas’ unumwundener Ausdrucksweise.
    Lieber Onkel Lucas,
    ich brauche deinen Rad – damals gehörte die Rechtschreibung noch nicht zu meinen Stärken. Ich bin zimlich unglücklich. Ich habe eine neue Schwester, aber sie weint immer, und Mum hat sie liber als mich.
    Was soll ich tun?
    Deine Niechte,
    Ella.
    Gewissenhaft tippte ich die lange Faxnummer, die mir Lucas in seinem Brief genannt hatte, legte die Seite ein, sah zu, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher