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Das Gurren der Tauben (German Edition)

Das Gurren der Tauben (German Edition)

Titel: Das Gurren der Tauben (German Edition)
Autoren: A. Schneider
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verblasste. Wieder ein Fr ü hling, Sommer,
Herbst und Winter.
    Ich hatte seit
langem daran gedacht, meinen Eltern eine heimliche Nachricht zukommen zu
lassen. Doch ich selbst konnte nichts hinausschmuggeln, weil die W ä rter streng
darauf achteten, dass ich meinen Eltern beim Besuch nicht zu nahe kam.
Andererseits, Andreas und Mario durften K ö rperkontakt zu ihren Eltern haben. Sie waren zeitweise
sogar allein mit ihnen im Raum.
    Andreas war
keine Option. Er w ü rde den Brief sofort zu Knautschbacke bringen. Aber Mario war eine. Meine
Meinung ü ber ihn stand
fest, daran hatte sich nichts ge ä ndert. Doch ich war ü berzeugt, dass er kein Informant war und entschied mich, es
zu wagen.
    Wegen seiner
empfindlichen Haut, hatte er Schwierigkeiten beim Rasieren. Also schlug ich ihm
einen Deal vor: Meine Mutter hatte mir einen Nassrasierer mit Schwenkkopf von
Wilkenson geschickt. Den bot ich ihm im Gegenzug f ü r das
Hinausschmuggeln eines Briefes an.
    Mario ü berlegte nicht
lange und stimmte zu. Sein n ä chster Besuch war in einem Monat.
    Ich schrieb
einen ausf ü hrlichen Bericht ü ber den
Ausbruch, die Gerichtsverhandlung und meine Unterbringung in Bautzen – etwa ein Dutzend
Seiten. Ich bat meine Mutter mir auf ihrer alten Schreibmaschine zu antworten,
weil da das “ e ” immer leicht
nach oben versetzt war. Es w ä re f ü r mich der
Beweis, dass sie den Brief bekommen hatte.
    Ich versteckte
den dicken Umschlag, dass die W ä rter ihn nicht finden konnten und gab ihn Mario direkt bevor er zur
Besuchsdurchf ü hrung abgeholt
wurde. Die folgende Stunde war nervenzerrei ß end, obwohl ich mir relativ sicher war, dass ich mich auf
ihn verlassen konnte. Als er zur ü ckkam, sagte er mir, dass alles geklappt h ä tte. Seine
Mutter hatte den Umschlag ohne ein Wort eingesteckt.
    Eine Woche sp ä ter bekam ich
einen Brief von meiner Mutter. Er war mit Schreibmaschine geschrieben. Das “ e ” war leicht nach
oben versetzt. Ich gab Mario den Nassrasierer. Jetzt, da meine Eltern ü ber alles
Bescheid wussten, f ü hlte ich mich besser. Ich sp ü rte auch so etwas wie Genugtuung dar ü ber, dass ich
"DIE" ausgetrickst hatte.
    Das Leben auf
II/West war zur Routine geworden. Ich merkte, dass Knast Knast war, egal ob ich
B ü cher hatte,
fernsehen oder Radio h ö ren konnte; egal ob ich in Einzelhaft oder mit zwei anderen Typen zusammen
war. Die Freude und Erleichterung nach den f ü nf Jahren Einzelhaft, war verflogen. Ich wollte richtig
frei sein.

 
    Am 17. Juni 1987
geschah etwas Unerwartetes. Zuerst wurde das Radio abgestellt, dann holten die
W ä rter den
Fernseher aus unserem Bereich. Einige Zeit sp ä ter kamen sie zur ü ck und schlossen uns in unsere Zellen ein.
    Um 20 Uhr kam
eine Durchsage: “ Alle Strafgefangenen fertigmachen zum Raustreten! Nach verlassen der
Verwahrr ä ume im
jeweiligen Bereich antreten! ”
    Es war nicht das
erste Mal, dass die W ä rter Kontrollen nach der Z ä hlung durchf ü hrten. Doch danach sah es diesmal nicht aus. Irgendetwas lag in der Luft.
Im ganzen Haus herrschte Aktivit ä t; T ü ren und Gitter wurden auf- und zugeschlossen.
    Nachdem unsere
Zellent ü ren ge ö ffnet wurden,
mussten wir unseren Bereich verlassen und im Flur vor den Arrestzellen
antreten. Einige Arrestanten in Nachthemden standen schon dort. Unsere
Isolation schien nicht l ä nger von Bedeutung zu sein. Es k ü mmerte die W ä rter nicht, ob wir uns mit den Arrestanten unterhielten.
    Mir wurden keine
Handschellen angelegt. Die gleichen W ä rter, die sonst peinlich darauf achteten, dass ich ihnen
nicht zu nah kam, hatten pl ö tzlich keine Angst mehr vor mir. Wir fl ü sterten untereinander und warfen uns neugierige Blicke
zu.
    Nach einer
Weile, betrat ein Offizier, den ich zuvor noch nicht gesehen hatte, den Flur
und verlas eine Erkl ä rung: “ Auf Beschluss
des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik wird in der DDR eine
allgemeine und umfassende Amnestie durchgef ü hrt. Die Anstaltsleitung fordert alle Strafgefangenen
auf, bis zu ihrer Entlassung weiterhin dem Arbeitsprozess nachzugehen und sich
entsprechend den Bestimmungen der Hausordnung zu verhalten. Spezifische Angaben
zu den Modalit ä ten der Amnestie
entnehmen Sie der morgigen Presse. Begeben Sie sich jetzt zum Einschluss zur ü ck in Ihre
Verwahrr ä ume. “
    Wir waren
sprachlos. Das konnte nicht sein! Eine Amnestie?!
    Nat ü rlich hatten wir
oft ü ber eine derartige
M ö glichkeit
gesprochen und spekuliert. Doch wir waren uns
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