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Das Gurren der Tauben (German Edition)

Das Gurren der Tauben (German Edition)

Titel: Das Gurren der Tauben (German Edition)
Autoren: A. Schneider
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aus
dem Weg gehen. Wir mussten uns ertragen, so, wie wir waren.
    Ohne, dass man
sagen kann, wir w ä ren dicke Freunde geworden, kamen wir in den folgenden Monaten problemlos
miteinander aus. Andreas und ich machten Sport zusammen und an den Wochenenden
spielten wir zu dritt Karten oder w ü rfelten. Dieser ertr ä gliche Umgang miteinander half uns ü ber die gro ß e Amnestie-Entt ä uschung hinweg.
    Die
Zeit verging. Ich wurde 27. Die Tage, Wochen und Monate waren nicht l ä nger
unterscheidbar. Ich verlor meinen Sinn f ü r die Zeit und konnte nicht mehr sagen, ob ein Ereignis
drei Wochen oder drei Monate zur ü cklag. Mir war, als h ä tte ich mein ganzes bisheriges Leben im Knast verbracht.
Die Erinnerung an die Zeit davor war verblasst. Obwohl ich mich so sehr nach
Freiheit sehnte, hatte ich nun Angst davor. Ich konnte mir ein Leben drau ß en nicht mehr
vorstellen.
    Ich beantragte
die Freistunde zuk ü nftig ohne Handschellen durchf ü hren zu d ü rfen. Dem wurde stattgegeben. Fortan spielte ich mit Andreas fast jeden Tag
Tischtennis. Er hatte mir vorher gesagt, ich w ü rde keine Chance gegen ihn haben. Und so war es
auch.
    Inspiriert durch
die Olympischen Spiele in Seoul und im festen Glauben, dass der Sozialismus dem
Kapitalismus ü berlegen war,
schlug Andreas ein Turnier vor, in dem er den Sozialismus und ich den
Kapitalismus verk ö rpern sollte. Ja – waren erwachsen. Aber wir waren auch in Isolationshaft. Da kommt man auf
komische Ideen.
    Wir legten einen
Spielplan fest. Die Saison sollte ein Jahr dauern und am Ende w ä re bewiesen,
welche Gesellschaftsordnung besser war. Mario fungierte als Schiedsrichter.
    Andreas startete
extrem gut und spielte mich mit seinem Offensivspiel in Grund und Boden. Ich
reagierte nur und kam gar nicht dazu, ein eigenes Spiel aufzuziehen. Ich verlor
jedes Match der ersten Halbserie.
    Das erste Spiel
der R ü ckrunde konnte
schon die Entscheidung bringen. Sollte Andreas das gewinnen, h ä tte er das
Turnier gewonnen. Er war nerv ö s, denn ich war definitiv besser geworden. Beim letzten Spiel hatte ich ihn
in die Verl ä ngerung gezwungen.
    Ich landete
meinen ersten Sieg und meine Gl ü cksstr ä hne hielt. Ich
verbesserte mich in der Abwehr und spielte offensiver. Irgendwann wagte Andreas
keine Schmetterb ä lle mehr, weil ich alle parierte und mit der selben Geschwindigkeit zur ü ckschickte. Ich
gewann alle Spiele der R ü ckrunde.
    Wir legten einen
Termin f ü r das alles
entscheidende Spiel fest, doch etwas Unvorhersehbares kam dazwischen ...
    *

 
    Wir bekamen
nicht nur die Parteizeitung “ Neues Deutschland ” gratis, sondern auch die Stimme des kommunistischen Nachwuchses, die “ Junge Welt ” . Im Sommer 1989 ä nderte sich die
Berichterstattung dieser Zeitung von heute auf morgen, will sagen, es wurde
nichts mehr verschwiegen.
    Meine Art, die
Zeitung zu lesen, ä nderte sich ebenfalls. W ä hrend mich bisher haupts ä chlich der au ß enpolitische Teil interessierte, war nun das Gegenteil der Fall. Ich
ignorierte die Au ß enpolitik und las den innenpolitischen Teil, denn was in der Welt
passierte, war langweilig verglichen mit dem, was sich in der DDR abspielte.
Das ganze Land war in Aufruhr; die Machthaber drauf und dran, die Kontrolle zu
verlieren.
    Aus der Zeitung
erfuhr ich, dass viele Menschen die Nase voll hatten von dem kommunistischen
Regime und das versuchten, was ich acht Jahre zuvor versucht hatte. Einige
reisten nach Ungarn um dort die gr ü ne Grenze nach Ö sterreich zu ü berqueren. Andere fl ü chteten sich in die westdeutsche Botschaft in Prag und
warteten dort auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik. Je mehr ich von diesen
Aktivit ä ten erfuhr,
desto zuversichtlicher wurde ich, dass eine radikale Ver ä nderung in der
DDR bevorstand.
    Mario spielte
den uninteressierten Beobachter, w ä hrend Andreas die Menschen, die f ü r Freiheit und
Demokratie auf die Stra ß e gingen, als Verr ä ter bezeichnete. Er war nach wie vor ein ü berzeugter Kommunist. Der Westen war b ö se und der Osten
gut, so seine simple Philosophie.
    Das Verhalten
der W ä rter ä nderte sich
ebenfalls. Sie hielten die strengen Sicherheitsma ß nahmen zwar bei, konnten ihre Verunsicherung aber
nicht l ä nger verbergen.
    Alles hatte mit
Demonstrationen zur Reformierung des sozialistischen Systems begonnen. Doch die
Rufe nach Abschaffung des Sozialismus und einer deutschen Wiedervereinigung
wurden lauter. Die Montagsdemos in Leipzig und anderen St ä dten
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