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Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gefolgt von den Nonnen, ging auf das Wohnhaus zu, dicht an der Mauer des Obstgartens entlang, wo in launischen Intervallen ein Krächzen das Flattern der Fledermäuse und das Zirpen der Grillen übertönte. Zwischen den Obstbäumen zwinkerte es und blitzte es auf – Leuchtkäfer? Eulenaugen? Die Oberin blieb vor der Kapelle stehen.
    »Gehen Sie hinein, Madres«, sagte sie sanft. »Bitten Sie die Jungfrau, sie möge ein Unglück verhüten. Ich komme nachher.«
    Santa María de Nieva ist wie eine unregelmäßige Pyramide, und ihre Basis sind die Flüsse. Der Landeplatz befindet sich am Nieva, und rings um die schwimmende Mole schaukeln die Kanus der Aguarunas, die Ruder-und Motorboote der Weißen. Weiter oben liegt, ein Quadrat aus ockerfarbener Erde, die Plaza, in deren Mitte zwei Capironastämme aufragen, kahl und klobig. An dem einen hissen die Guardias am Nationalfeiertag die Fahne. Und um die Plaza gruppiert sind die Comisaría, das Haus des Gobernadors, einige Wohnhäuser von Christen und die Cantina von Paredes, der außerdem noch Kaufmann und Tischler ist und Pusangas herzustellen versteht: Liebestränke. Und noch weiter oben, auf zwei Hügeln, die Gebäude der Mission: Dächer aus Wellblech, Säulen aus Lehm und Ponaholz, kalkverputzte Wände, Drahtgeflecht an den Fenstern, Holztüren.
    »Wir wollen keine Zeit verlieren, Bonifacia«, sagte die Oberin. »Sag mir gleich die ganze Wahrheit.«
    »Sie war in der Kapelle«, sagte Madre Angélica. »Die Madres haben sie entdeckt.«
    »Ich habe dich etwas gefragt, Bonifacia«, sagte die Oberin. »Worauf wartest du?«
    Sie trug eine blaue Tunika, ein Futteral, das ihren Körper von den Schultern bis zu den Knöcheln versteckte, und ihre bloßen Füße, kupferfarben wie dieBretter des Bodens, ruhten nebeneinander: zwei flache, vielköpfige Tiere.
    »Hast du nicht gehört?« fragte Madre Angélica. »Rede doch!«
    Der schwarze Schleier, der ihr Gesicht umrahmte, und das Halbdunkel in dem Büro akzentuierten das Zweideutige ihres Gesichtsausdrucks, halb menschenscheu, halb teilnahmslos, und ihre großen Augen blickten starr auf den Schreibtisch; mitunter ließ die Flamme des Lampendochts, wenn die vom Obstgarten hereinwehende Brise sie bewegte, das Grün dieser Augen erkennen, ein mattes Funkeln.
    »Haben sie dir die Schlüssel gestohlen?« fragte die Oberin.
    »Du wirst dich nie ändern, fahrlässiges Geschöpf!« Die Hand Madre Angélicas flatterte über Bonifacias Kopf. »Siehst du jetzt, wozu deine Achtlosigkeit geführt hat?«
    »Überlassen Sie das mir, Madre«, sagte die Oberin. »Laß mich nicht noch mehr Zeit verlieren, Bonifacia.«
    Ihre Arme hingen an beiden Seiten herunter, den Kopf hielt sie gesenkt, die Tunika verriet nur knapp die Bewegung ihrer Brust. Ihre geraden, vollen Lippen waren zu einer mürrischen Grimasse zusammengelötet, und die Nase dehnte sich und runzelte sich leicht in sehr gleichmäßigem Rhythmus.
    »Mach mich nicht ärgerlich, Bonifacia, ich rede ernsthaft mit dir, und du tust, als hörtest du’s regnen«, sagte die Oberin.
    »Wann hast du sie allein gelassen? Hast du den Schlafsaal nicht abgeschlossen?«
    »Nun red endlich, Teufelsbraten!« Madre Angélica packte Bonifacias Tunika. »Gott wird dich für diesen Hochmut bestrafen.«
    »Du kannst den ganzen Tag über in die Kapelle gehen, aber nachts ist es deine Pflicht, auf die Mündel aufzupassen«, sagte die Oberin. »Warum bist du ohne Erlaubnis aus dem Zimmer gegangen?«
    Zwei schwache Klopfzeichen erklangen an der Tür des Büros, die Nonnen drehten sich um. Bonifacia hob die Lider ein wenig, und einen Augenblick lang waren ihre Augen größer, grün und gespannt.
    Von den Hügeln des Dorfes aus sieht man, hundert Meter jenseits, am rechten Ufer des Nieva, die Cabaña des Adrián Nieves, sein Stückchen Land und dahinter nur eine Flut von Lianen, Gestrüpp, Bäume mit tentakelartigen Zweigen und hoch aufragenden Wipfeln. Nicht weit von der Plaza liegt die Siedlung der Eingeborenen, eine Anhäufung von Hütten, die auf Bäumen errichtet sind, deren Kronen abgehackt wurden. Schlamm verschlingt dort das wilde Kraut und umgibt stinkende Wasserpfützen, in denen es von Kaulquappen und Würmern brodelt. Da und dort sieht man winzige Rechtecke, auf denen Maniok und Mais wachsen, ein paar Obstbäume stehen. Von der Mission führt ein steiler Pfad hinunter zur Plaza. Und hinter der Mission bietet eine Mauer aus Lehm dem Vordringen des Urwalds Widerstand, der unbarmherzigenAttacke des
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