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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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Brennholzzwecke ausgeplünderte Wald konnte diesen Hunger der Sägewerke nicht stillen, die allerorten entstanden. Und man ging dabei unter Berücksichtigung der natürlichen Voraussetzungen ebenso strategisch vor wie heutige Anleger von Fonds für Ökostrom oder Explorationsunternehmen bei der Erschließung neuer Lagerstätten unter Prüfung der damit verbundenen Ertragsaussichten: In jenen Regionen Deutschlands, in denen es mehr regnete, pflanzte man Fichten, und dort, wo es wie in den Regionen des Nordostens trockene, sandige Böden gab, Kiefern. So entstand die deutsche Forstwirtschaft, gegründet auf universitäre Forstschulen wie jene im sächsischen Tharandt, im badischen Freiburg oder im brandenburgischen Eberswalde bei Berlin, wie viele andere Wissenschaftseinrichtungen des 19. und anbrechenden 20. Jahrhunderts eine der führenden in der Welt.
    Aus diesem Grund gibt es in Zentraleuropa praktisch keine natürlichen Wälder mehr. Dieses Gebiet hatte immer einen Ausgleich zwischen Natur und Industrialisierung mit ihren Abgasen, dem „Düngeeffekt aus der Luft“, zu schaffen. Dies kommt auch im anfangs zitierten Buch der schwedischen Schriftstellerin Kerstin Ekman zum Ausdruck, die eine zunehmende Ökonomisierung des Waldes offenlegt. Bereits ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Ernst Jünger in seinen Tagebüchern des Zweiten Weltkriegs voneiner Kahlschlagmentalität gesprochen. Er schilderte den „fressenden Charakter“ beim Anblick eines Sägewerks, um das herum sich im weiten Radius kein Wald mehr befand. 129
    Achtzig Prozent der Wälder in Nordostdeutschland, mit denen sich Reinhard Hüttl beschäftigt hat, sind heute jünger als sechzig Jahre, weniger als ein Menschenleben. Sie sind durch systematische Aufforstungen entstanden, aus eben jenem bis zu Carlowitz zurückführbaren Kalkül, das ein Produzieren „auf Nachhalt“ forderte. Diese Botschaft ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund wichtig geworden, dass ein Zusammenhang zwischen den klimatischen Bedingungen und den wirtschaftlichen und sozialen Zukunftsaussichten im globalen Kontext besteht – ohne dass man deshalb gleich von „Klimakriegen“ sprechen muss. Und doch ist der Mensch infolge seiner technisch-kulturellen und demografischen Entwicklung, so ist zu wiederholen, selbst zu einem Geo- und damit Klimafaktor geworden.
Die Natur bezwingen?
    Die Frage nach dem Wesen der Natur und ihrer Beeinflussung durch den Menschen stellt sich nicht nur für die Klimaforschung, die sich mit der Atmosphäre, den Meeren, den Böden, den Wäldern, den Mooren und Landschaften als Emittenten oder Kohlenstoffsenken beschäftigt, aber auch die Verwerfungen in den Dürre- und Überschwemmungsregionen in der Welt aus sozialen Gründen zum Gegenstand hat. Und doch gibt es kaum einen anderen Wissenschaftszweig, dessen Ergebnisse zugleich Handlungsanweisungen an unser Leben sind. Dass dem ein bestimmtes Naturbild zugrunde liegt, soll zum Abschluss dieses Kapitels gezeigt werden.
    Im März 2012 meldeten die deutschen Medien, dass durch eine Serie von Tornados im Mittleren Westen der USA mindestens zwölf Menschen getötet worden seien. Hunderte weitere Opferseien nach Behördenangaben verletzt worden. In der Stadt Harrisburg, die am schwersten getroffen wurde, starben sechs Menschen. Millionenschäden richteten die Stürme auch in Kentucky an.
    Zwei Monate später starben Menschen bei Erdbeben in der italienischen Emilia Romagna. Viele wurden verletzt. Und obwohl Italien in unmittelbarer Nähe zu Deutschland liegt und viele Deutsche seit alters her in seinen Bann zieht, hat es hierzulande wenig Anteilnahme erzeugt, dass es seit dem großen Erdbeben von Messina im Jahr 1908 mit bis zu hunderttausend Toten permanent Erdbeben in Italien gegeben hat und dass man anders als in Japan keine Kultur der Risikovorsorge kennt. Selbst im Friaul starben in den siebziger Jahren tausend Menschen. Im katholischen Italien geht man mit diesem Leid durch die Natur anders um als in Japan: Man trauert, denkt trotz einzelner Anklagen gegen Gutachter aber nicht in denselben Kategorien von Prävention und Risikoeinstufung, etwa von historischen Gebäuden.
    Gerade in den USA gehört der Umgang mit den mythischen Gewalten der Natur zu einer wichtigen gesellschaftlichen Mission, über die Menschen wieder Hoffnung tanken. Gouverneure und Präsidenten suchen die vom Unglück verfolgten Orte auf, teilen das Leid der Menschen und sprechen ihnen Mut für den Wiederaufbau zu. Es ist eine Art
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