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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
Autoren: Henry Slesar
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hören.
    »Beginnen wir mit unserem Produkt«, sagte Spiegel. »Die Er­zeugnisse der Firma ›Burke-Baby-Foods‹ werden in Ohio genau nach den von den Bundesbehörden approbierten Vorschriften hergestellt. Die Ingredienzien liefern Burkes eigene Farmen oder verschiedene landwirtschaftliche Unternehmen aus der Nachbarschaft. Sämtliche Nahrungsmittel werden in tadellos sauberen Küchenanlagen unter Druck gekocht und jede Packung luftdicht verschlossen. Die Firma erzeugt jede Art von zerklei­nerter Babynahrung, außerdem Kindernahrung und Cornflakes. Die Waren sind reizvoll verpackt und dem Preis der Wettbe­werbslage angepaßt. Warum also«, fuhr Spiegel fort, während er Dave mit funkelnden Augen fixierte, »warum soll die Öffent­lichkeit diese Erzeugnisse kaufen?«
    »Ja, warum denn nicht – wenn sie so gut sind?«
    »Ah«, sagte Spiegel. »Die Stimme der Unschuld! Die traurige Wahrheit, mein Freund, ist folgende: die von mir erwähnten Fakten treffen auf so gut wie alle heute auf dem Markt vorhan­denen Säuglingsnahrungskonserven zu, soweit es sich um Mar­kenfabrikate handelt. Wenn es Unterschiede gibt, sind sie ge­ringfügig – also fallen sie kaum ins Gewicht, niemand beachtet sie. Aber ich werde Ihnen eine andere Frage vorlegen. Was wünscht sich jede Mutter?«
    Dave zuckte die Achseln. »Vermutlich einen Ehering.«
    »Ein gesundes Baby«, sagte Spiegel. »Ein süßes, munteres Baby, das süßer und munterer ist als Mrs. Jones’ Baby im be­nachbarten Kinderwagen. Und das liefert ihr Burke. Nicht Pflaumen, nicht Karotten, nicht Bananen – sondern ein größeres und besseres Baby für Sie, gnädige Frau!«
    »Hört, hört!«
    »Das ist nun aber auch nichts Neues. Seit Jahren machen Marke X und Marke Y ein großes Geschrei um die gesunden, vergnügten Babys. In den Reklamen für sämtliche Marken, die der Supermarkt feilbietet, zappeln und glucksen Tausende ge­sunder, vergnügter Babys. In Wirklichkeit aber interessiert sich Mrs. Amerika überhaupt nicht für die Tausende von Babys. Sie interessiert sich nur für ein einziges Baby. Für ihr eigenes. Se­hen wir nur einmal Korea an.«
    »Wie, bitte?«
    »Korea. Erinnern Sie sich an die Berichte gleich nach Kriegs­ende über die Millionen hungernder, elternloser Kinder? Glau­ben Sie, daß Mrs. Amerika ihr Schicksal beweint hat? Antwor­ten Sie nicht zu schnell! Immer wenn von einer Million hun­gernder Babys die Rede war, hielten die Tränendrüsen recht schön dicht. Aber wenn die Ortszeitung sich eines einzelnen koreanischen Waisenkindes, eines einzigen kleinen Mädchens annahm, fing der ganze gottverdammte Ort zu heulen an. Diese eine kleine Koreanerin wurde wochenlang durch die Schlagzei­len geschleppt. Sie erhielt Tausende von Dollars an Spenden und Beiträgen. Weil es sich um ein Kind handelte. Sie hatte ei­nen Namen, sie war eine Person, man konnte sich mit ihren Pro­blemen identifizieren. Und das ist das große Geheimnis der Burke-Kampagne.«
    Joe Spiegel stellte die erste montierte Probe auf den Kasten. Sie enthielt drei Fotos mit den entsprechenden Überschriften. Auf dem Hauptbild war ein junges Paar zu sehen, Wange an Wange auf einer Parkbank sitzend. Die junge Frau offensichtlich schwanger. Die beiden sahen schüchtern und verwundert aus und wirkten irgendwie rührend. Die Überschrift lautete: ›Sie Werden ein Baby bekommen.‹
    »Das ist die erste Anzeige in der Serie, die wir das ›Burke-Baby‹ nennen«, fuhr Spiegel fort. »Sie bestimmt den Stil der gesamten Kampagne. Ein einzelnes junges Ehepaar, Irma und Howard Clarke, stehen vor dem größten Abenteuer ihres Lebens ihrem ersten Baby. Wohlgemerkt – es handelt sich um ein einzelnes Baby. Nicht einmal um Zwillinge. Das wurde bereits ärztlich festgestellt. Wir zeigen sie nun, wie sie Pläne schmie­den, grübeln, hoffen – und es geht immer nur um das eine Baby. Wird es ein Junge oder ein Mädchen sein? Wem wird es ähnlich sehen? Wird es blond sein wie Irma oder dunkelhaarig wie Ho­ward? Wie werden sie es taufen? Werden sie eine größere Woh­nung oder ein Haus brauchen? Wird es Probleme mit den Groß­eltern geben? Und das Allerwichtigste: Wird es ein süßes, mun­teres, gesundes Baby sein? Welche Spannung!
    Und was die Reklame betrifft: Wir lesen unten nach und stel­len fest, daß die Clarkes sich vorgenommen haben, das Kind ausschließlich mit den Erzeugnissen der ›Burke-Baby-Foods‹ aufzuziehen. Was wird geschehen? Werden die Erzeugnisse der
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