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Das göttliche Dutzend

Das göttliche Dutzend

Titel: Das göttliche Dutzend
Autoren: Andrew Harman
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geübten Drehung des Handgelenks öffnete er zwei Klammern auf einem Paar Schautafeln, je eine auf jeder Seite der Säule. Dramatisch wurden die Abbildungen der Reizwäsche von neuen Bildern verdeckt, die, sich entfaltend, eine große Auswahl langer Unterwäsche für beide Geschlechter zeigten, in Blau und Rosa.
    Zorn aktivierte noch einmal all seine Reserven für eine letzte apostolische Attacke. Er zeigte mit der altgedienten Spitze seines Zeigefingers auf die Menge. »Jawohl! Laßt ab von den Gefahren seidener Wäsche, entledigt euch des rutschenden Übels der Riemchen und Schnallen und kommt auf den einen, den rechten Weg. Beginnt die Ewigkeit ohne niedere Gelüste.« Er hob seine Stimme, und den letzten Teil seiner Botschaft vermittelte er in einer Art Sprechgesang. »Jawohl! Nehmt die sichere und trotzdem so fesche! Genießt die Zukunft in Wunderwäsche!«
    Hausyrrer wollte gerade applaudieren und die Massen waren schon begierig, sich von ihrem Mammon zu trennen, als plötzlich …
    »Warum sollten wir?« schrie ein Mann in einer Toga vom Rand der Menge. Kaktusnadeln stachen kreuz und quer aus seinem Kragen.
    »Was?« stieß Zorn hervor.
    »Warum sollten wir Ihnen glauben?« rief der Mann zurück, diesmal mit mehr Nachdruck in der Stimme.
    Zorns Finger gruben sich in den Rand der Säule. »Weil … Weil es der eine, der rechte Weg ist …« Er war verblüfft. Niemand hatte jemals etwas erwidert.
    »Geben Sie’s auf, Zorn. Sie wissen genau, daß es nicht stimmt. In den letzten zwei Jahren haben Sie Lobreden auf über hundert rechte Wege gehalten. Wären wir so idiotisch, Ihnen jedes Wort abzunehmen, würden wir mit Heilige Mutter Majoran-Jungfernolivenöl Suppe würzen, mit Coellner Dom-Estos-Waschpulver Wäsche waschen, Unmengen von Pastor Wyckülers geistreichem Bier trinken, und …«
    »Schon gut, schon gut. Was genau wollen Sie damit sagen?« knurrte der Prediger hinter der Marmorsäule her.
    »Jede Woche kommen Sie her, stehen auf der Stufe da und schwafeln über den rechten Weg zur Erlösung. Einmal ist es die Priesterrolle Vollkornkekse, nächste Woche dann: Sag dem Höllenleid Ade, trink Kreuzigungs-Kaffee. Warum können Sie sich nicht auf eins einigen?«
    Ein Crescendo gemurmelter Zustimmung kam in der Menge auf.
    »Sie wollen auf irgendwas hinaus, nehme ich an?« Zorn bemühte sich, Überlegenheit auszustrahlen, er schaute den Mann von oben herab an.
    »O ja«, sagte der Mann mit einem Grinsen, daß es Zorn unter dem Kragen sehr unangenehm werden ließ. »Ich will darauf hinaus, daß Sie … ein Betrüger sind!«
    Die Menge buhte und bereitete sich auf eine Auspfeifattacke vor.
    »Ich … Ich … Die Wege des Herrn sind unerforschlich, und es gibt viele, sehr viele Pfade, denen man folgen kann«, ereiferte sich Zorn. Er warf Hausyrrer einen entschuldigenden Blick und ein Achselzucken zu. Der weißglühende Zornesblick, den er zur Antwort erhielt, war alles andere als freundlich.
    Das Auspfeifen begann.
    »Also … Nun hören Sie mal. Ich erfülle nur meine Pflicht und Aufgabe, indem ich Pfade aufzeige und jeden frei wählen lasse. Übrigens kann ich einen kleinen Rabatt auf eure milde Gabe bei Massenbekehrungen zu Wunderwäsche gewähren …«
    Die Menge schrie wütend auf, und ein Glas ›Kreuzigung‹ von St. Jakobs-Kaffee schoß durch die Luft, gezielt auf Zorns hohe Stirn zu. Im letzten Augenblick duckte er sich. Als er sich wieder kerzengerade aufrichtete, zeichnete aufkeimende Panik sein Gesicht.
    »Moment mal, man soll doch nichts überstürzen …«
    Das kreuzförmige Glas verschwand in einer fernen Kaktushecke, landete auf einem saftigen Blatt und wurde mit furchterregender Wucht zurückgeschleudert. Die Menge kochte, verärgert darüber, daß ihr Aberglaube dazu benutzt worden war, sie derart herzlos zu manipulieren.
    »Glauben Sie mir, das Zeug ist hervorragend. Ich würde nur zu gern eine Tasse davon trinken, und …« Das Kaffeeglas traf Zorn am Hinterkopf, so daß seine Mitra im hohen Bogen in die Menge flog. Sein Ex-Publikum johlte und drängte voran, als sei es der Abzug einer gefährlichen Waffe gewesen.
    In diesem Augenblick wünschte sich Mietprediger Gottfried Zorn, er hätte das Seminar zum Thema ›Vermeidung unmittelbar bevorstehender Ausschreitungen‹ besucht, das die Mission ihm angeboten hatte.
    Ein ›Betrüger! Betrüger!‹-Sprechchor keimte im hinteren Bereich des Platzes auf und steckte schnell den ganzen Heydenpark an.
    Zorn wich mit schweißnassen Händen langsam
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