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Das göttliche Dutzend

Das göttliche Dutzend

Titel: Das göttliche Dutzend
Autoren: Andrew Harman
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nicht mit Sicherheit zu sagen, aber aus irgendeinem Grund hatten 99 Prozent der axolotischen Bevölkerung das ›zweite Gesicht‹. Gleichgültig, ob sie sich einer Handvoll alter Hexenknochen bedienten, ob sie in der Schaumkrone einer Maß Bier nach Mustern suchten oder in Leuchtkristalle schielten, das Ergebnis war immer gleich: die Axoloten konnten in die Zukunft schauen.
    Manche hatten die Fähigkeit, Flammen vorherzusehen: z.B. ›Schnüffi‹ Löschler und sein treuer Esel Erwin, die für die Feuerverhütung arbeiteten. Sie kamen immer ganz lässig wenige Minuten, bevor der Huf eines Lamas einen Funken warf und einen trockenen Heuballen in ein flammendes Inferno verwandelte, anmarschiert und verhinderten die Katastrophe mit dem beherzten Ausschütten eines Wassereimers. Andere, deren Hellsichtigkeit eher kulinarischer Natur war, wurden von den unzähligen Schnellimbissen rund um Axolotl beschäftigt und nutzten ihre Gabe, um dafür zu sorgen, daß die richtigen Gerichte immer dann ins Haus geliefert wurden, wenn sich der erste Hunger meldete. Schließlich gab es noch die Abfallpropheten, die bei einem seltsamen Kitzeln in der Nase auf die Straße eilten und genau dort Behälter aufstellten, wo gerade Müll herabfiel.
    Und manche arbeiteten für die wöchentlich erscheinende Nachrichtenbulle Spiegleyn Spiegleyn, brüteten über Zeichen und Voraussagen und stellten die ›Omen-Ecke‹ zusammen. Diese bot weit mehr als die unbestimmten Andeutungen eines Horoskops. Sie nahm dem vor einem liegenden Tag jegliches Risiko. Die Omen-Ecke war spezifisch. Über-Seher, die sich mit dem Vorausahnen unheilverkündender Tiere beschäftigten, warnten vor den gefürchteten schwarzmantrischen Geckos und gaben Ort und Zeit ihres Auftretens an, damit niemand den Weg dieser Viecher kreuzte. Chromatherapeuten erläuterten, welche Farben die persönliche Aura am eindrucksvollsten zur Wirkung brachten. Die dem Aberglauben verfallenen Axoloten kamen um die Lektüre des Spiegleyn Spiegleyn gar nicht herum.
    »Aber was hat das alles mit meinen hundert Groschen Buchungsgebühr zu tun?« fragte Hausyrrer, der die Verwirrung noch immer nicht ganz abgeschüttelt hatte.
    Zorn knurrte, zog die neueste Ausgabe aus der Tasche und warf sie ihm zu. »Seite zwölf. Und jetzt bewegen Sie den Hintern, wenn Sie nicht niedergetrampelt werden wollen.«
    »Was?«
    »Sie sind immer pünktlich. Sie trauen sich nicht, zu spät zu kommen.«
    Im Hintergrund hörte er schon die Geräusche einer Menschenmenge, die von überallher in der Stadt zusammenkam.
    Der Mietprediger Gottfried Zorn von der Mission der Heiligen Laudatia (Abteilung Auftragsbekehrung) hob seinen Blick auf die golden schimmernden Dachschindeln des großen Stadttempels, setzte seine Mitra auf und räusperte sich.
    Als er wieder herabsah, war der gesamte Heydenpark von einem Meer gespannter Gesichter erfüllt, von denen ihm viele schon von verschiedenen früheren Veranstaltungen bekannt waren.
    »Bürger von Axolotl«, verkündete Prediger Zorn, die Hände in apostolischem Eifer erhoben. »Wie schön, daß ihr gekommen seid.« Er grinste in sich hinein und sonnte sich in der rötlichen Wärme der bevorstehenden Massenbekehrung.
    Hausyrrer verschluckte sich fast, als er die extra annoncierte ›Voraussage‹ auf Seite zwölf las. Nun wurde ihm klar, woher Zorn die Gewißheit nahm, daß die Leute massenhaft kommen würden. Wie konnten sie denn anders, angesichts einer derart mehrdeutigen und abergläubisch furchteinflößenden Voraussage?
     
    Ihr wart noch nie so glücklich.
    Ihr wart nie zuvor so begeistert.
    Und ihr werdet nie wieder so frei sein.
    Wenn …
    Wenn ihr morgen um 9.00 Uhr am Predigereck seid.
    Gehet hin … oder bereut es bis in alle Ewigkeit!
     
    Hausyrrer schaute zu dem Meer eifriger Menschen auf, von denen jeder begierig erfahren wollte, was ihn in höchste Glücksgefilde transportieren sollte. Denn jeder fürchtete die Zukunft. Die Ausdünstungen der Angst wogen schwer in der Luft. Er mußte zugeben, daß es eine ordentliche Ansammlung war. Einen Augenblick lang hatte er gezweifelt, aber nun war er zufrieden. Die hundert Groschen waren gut angelegt.
    »Meine lieben Leute, ich hoffe, ihr seid euch bewußt, welches Glück ihr hattet«, schleimte Zorn, der die Menschenmenge mit erhobenen Handflächen willkommen hieß. »Ihr steht kurz vor einer neuen und furchteinflößenden Offenbarung.«
    Die Menge schnappte nach Luft.
    »Will sagen, furchteinflößend für jene, die nun
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