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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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gesehen habe.« Er ging raschen Schrittes zur Taverne, so dass Sutter sich sputen musste, um nicht abgehängt zu werden.
    An der Vordertür blieben sie stehen (Hambley gestattete niemandem außer seinen Bediensteten, durch die Küchentür hineinzugehen) und schabten sich an der obersten steinernen Stufe den Matsch von den Stiefeln, ehe sie das Wirtshaus betraten. Schon hier witterte Tahn den köstlichen Duft von frisch gebackenem Brot und Entenbraten und den säuerlichen Geruch von Hopfenbier. Gedämpfte Stimmen waren hinter der Tür zu hören. Sutter schob Tahn beiseite. »Der Mann sollte immer vorausgehen, Eichhörnchen.«
    Sutter stieß die schwere Tür aus Zedernholz so energisch auf, dass sie innen mit lautem Krachen gegen die Wand knallte. Gespräche verstummten, als sich die Gäste nach Sutter umdrehten, der sich ihren Blicken mit in die Hüfte gestemmten Händen und gereckter Brust stellte. Als die Leute den Rübenbauer erkannten, nahmen sie ihre Unterhaltungen wieder auf. Tahn schüttelte den Kopf, folgte seinem Freund nach drinnen und schloss leise die Tür hinter ihnen.
    Der offene Schankraum der Feldstein-Taverne erstreckte sich von der Tür aus mehrere Schritt nach links, wo sich der Durchgang zur Küche befand, und doppelt so weit nach rechts bis zu einem mannshohen offenen Kamin. Das lodernde Feuer darin wurde von zwei Schritt langen Holzscheiten genährt. Tische nahmen den meisten Platz im Raum ein, heute hauptsächlich mit Nordsonn-Gästen besetzt, die auf die Ankunft des Lesers warteten.
    Die Menschen kamen aus den entlegensten Winkeln des Helligwalds hierher, um den Vorleser zu hören. Tahn fand die Leute aus Liosh übertrieben still und bescheiden, während die aus Evinsbach sich offenbar nur halb brüllend verständigen ko nnten. Die Männer aus Spornhaven trugen zweireihige Kittel, ihre Frauen Kleider mit hohem, steifem Kragen; die Frauen, so schien es ihm, hielten den Kopf stets gesenkt, selbst wenn sie aufblickten.
    Hambley hatte in den hinteren Fluren provisorische Lager zurechtgemacht, um die zahlreichen Gäste unterzubringen. Viele hatten eine Reise von drei oder vier Tagen auf sich genommen, um in der Feldstein-Taverne zu sein, wenn die Sonne an ihrem nördlichsten Punkt aufging (und damit einen Umlauf beendet hatte), und sie gaben die Hoffnung nicht auf, dass der Vorleser doch noch kommen würde. Obwohl das Hohe Licht seit Tagen nicht zu sehen gewesen war, trugen die Bewohner des Helligwalds den Nordsonn-Tag tief im Herzen. Regen hin oder her, die Menschen spürten, wann Nordsonn war. Und obwohl der Leser sich verspätete, war die Tradition, ihn auf seinem Maulesel durch die Straßen reiten und dann zum Balkon der Feldstein-Taverne emporklettern zu sehen, offenbar alle Unannehmlichkeiten wert.
    Niemand wusste, woher der Vorleser kam, doch seine prall gefüllten Satteltaschen versetzten den ganzen Ort in Spannung. Sie steckten voller Geschichten, die aus längst vergangenen Zeitaltern überliefert worden waren, über Hunderte Generationen hinweg, und auf den Lippen von Ogea, dem Vorleser, neu entstanden: Geschichten von der Formwerdung der Welt, von den Kriegen der Menschen gegen die Stilletreuen und Schatten aus dem Born. Tahn hoffte sehr, dass er Ogea bald wiedersehen würde und der Mann nicht tot am Wegrand lag, erschlagen von einer Windhose aus den lenkerischen Händen des Velle, den er gesehen hatte. Gestern noch hatte er den Leser fragen wollen, ob er ihnen etwas über das fortgesetzt schlechte Wetter und das abgewanderte Wild sagen konnte. Heute wollte Tahn den Vorleser nur eines fragen: Was hatte es zu bedeuten, dass ein Velle so weit in den Süden gekommen war und ihn, Tahn, zu kennen schien … ihn ganz persönlich? Doch er hatte kaum mehr Hoffnung, dass der Vorleser dieses Jahr erscheinen würde.
    Der Gedanke betrübte ihn, und nicht nur um seiner selbst willen. Er erinnerte sich gut an das erste Mal, als er Ogea hat te sprechen hören. Der Vorleser hatte keinen einzigen Blick in sein Buch geworfen, sondern es mit einem Arm an die Brust gedrückt, während er mit dem anderen große Gesten vollführt und seinem kleinen, ältlichen Leib eine laute, volltönende Stimme entlockt hatte.
    Die Geschichten, die er mit Worten malte, hatten Tahns Herz ergriffen. Stundenlang hatte Ogea gesprochen und manche Passagen seiner Erzählungen auch gesungen, mit leicht heiserer, aber inbrünstiger Stimme. Als es dunkelte, wurden Fackeln entzündet, die dem Vorleser einen eindrucksvollen Nimbus des
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