Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme
Autoren: Julia Krohn
Vom Netzwerk:
Schrecken ihrer Flucht nie versiegenden Brüsten, hatte sie über sich ergehen lassen, ohne es wirklich wahrzunehmen.
    Aber die Worte der beiden Mägde hörte sie nun, vielleicht, weil sie so absonderlich waren.
    »Doch, es stimmt!«, sagte die eine. »Es gibt kein wirksameres Mittel, um einen Mann für sich zu gewinnen. Eine Frau muss einen lebenden Fisch in ihre Scham einführen und ihn festhalten, bis er tot ist. Und wenn sie ihn hernach kocht und dem Liebsten vorsetzt, so wird er sein Leben lang nie wieder von ihr ablassen können.«
    Die andere brummte etwas Unverständliches, ehe sie hinzusetzte: »Kann mir nicht vorstellen, dass grade ein Fisch eine solch leidenschaftliche Glut erwecken kann. Fische haben kalte, tote Augen …«
    »So wie sie«, wechselte Erstere unvermittelt das Thema. »Hab ihr gestern frische Kleidung gebracht, und sie hat kein Wort des Dankes gesagt, sondern mich einfach nur angestarrt. Ach, kalt über den Buckel ist’s mir gelaufen!«
    »Jetzt bild dir bloß nichts ein!«, entgegnete die andere schroff. »Sie ist nicht … böse, sie ist nur vollkommen verwirrt.«
    »Du hast viel zu viel Mitleid mit ihr!«
    »Du weißt doch, was ihr zugestoßen ist!«
    »Na und?«, erwiderte die andere barsch. »Jeder hat seine Last zu tragen. Aber sie, glaub mir, sie hat es eigentlich gut getroffen.«
    Johanna blickte nachdenklich auf. Sie sprechen über mich, kam es ihr in den Sinn.
    Kurz wusste sie nicht, was sie mehr überraschte – dass sie die Worte überhaupt wahrgenommen hatte oder dass die beiden Frauen so ungeniert über sie schwatzten, obgleich sie doch hier in der Küche nicht weit von ihnen saß. Zweimal am Tag kam sie hierher, um die Mahlzeiten einzunehmen, dann flüchtete sie sich rasch wieder in das Gemach, das sie mit dem Kind teilte. Meist saß sie völlig versunken über die Schüssel gebeugt und aß hastig und ohne richtig zu kauen, was später oft für schmerzliches Magendrücken sorgte. Doch zum einen konnte sie seit ihrer Flucht die Gier auf jedweden nahrhaften Bissen nicht beherrschen und verschlang hemmungslos alles, was ihr vorgesetzt wurde, und zum anderen wollte sie so wenig Zeit wie möglich mit anderen Menschen verbringen.
    »Ja«, bekräftigte eine der Mägde, »wenn man sie sich anschaut, dann muss doch jeder feststellen, dass sie es gut getroffen hat.«
    Johanna ließ den Löffel sinken und blickte unwillkürlich an sich herab. Am Tag nach ihrer Ankunft hatte sie ein Kleid bekommen, das aus Schafwolle gewebt war, und – für kältere Tage –einen Umhang aus Fuchsfell, beides so weich, dass sie oft stundenlang mit der Hand darüberstrich. Zudem hatte man ihr eigene Schuhe aus der gegerbten Haut eines Schafbockes gegeben.
    »Ach Gudula, wie kannst du nur …«
    »Lass mich weiterreden, Adallinda«, fiel die andere ihr erneut ins Wort. »Wir wissen nichts darüber, woher sie kommt, aber es fällt leicht, mancherlei Schlüsse zu ziehen. Sieh sie dir doch an! Sie hat die Hände einer Bäuerin, vernarbt und schwielig und feist. Ihr Rücken ist gekrümmt von all der schweren Arbeit, die
    sie tun musste. Früher wohlgemerkt, jetzt nicht mehr. Sie schläft in einem weichen Bett, sie trägt edle Kleidung, sie bekommt genug zu essen – und all das nur, weil sie dem Kind ihre Brust gibt.«
    »So hat es der Graf beschlossen. Der Graf ist dem Kinde ehrlich zugetan, er ist schließlich sein Pate.«
    »Das mag ja gut und richtig sein, zumal er keine eigenen Kinder hat. Und sie hat viel Milch, das muss man ihr lassen. Ja, als Amme taugt sie. Aber sag ehrlich: War es nicht ein gewaltiger Aufstieg für sie? Hat sie nicht mehr erreicht als sämtliche anderen Weiber ihres Standes? Nein, ich habe kein Mitleid mit ihr. Das Unglück, das sie traf, ist nicht größer als das Glück, das sie hier fand!«
    Johanna erhob sich langsam. Als von ihren Brüsten gesprochen wurde, hatte sich dort ein schmerzliches Ziehen ausgebreitet, aber das musste warten. Nun wusste sie, warum sie ausgerechnet diese Worte wahrgenommen hatte, alle anderen aber bislang nicht. Weil sie wahr waren. Weil sie unerträglich waren. Weil sie sie an das erinnerten, was ihr zugestoßen war … und was sie selbst getan hatte, um sich zu retten.
    »Aber sie hat doch ihre Familie verloren!«, warf Adallinda ein. »Sie war verheiratet, und ihr Mann ist tot. Wahrscheinlich haben ihn die Normannen«, Johanna sah, wie sie rasch ein Kreuzzeichen machte, »erschlagen oder verbrannt oder aufgehängt. Sie hat geboren, und das Kind …
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher