Das Gesetz der Vampire
erkennen konnte, falls dieser sein Äußeres veränderte. Das taten Vampire häufig. Sie ließen sich Haare oder Bart wachsen, färben oder lange Haare streichholzkurz scheren. Sie änderten den Stil ihrer Kleidung, wechselten die Namen und noch häufiger ihr Operationsgebiet.
Vincent Cronos kam besonders viel herum. Kaum war ein Bericht über einen Aufenthaltsort bestätigt, war er schon wieder fort, noch ehe Ashton dort eintraf. Allerdings änderte er nie seinen Namen, wenn er ihn einem Menschen gegenüber einmal erwähnte, was er selten tat. Seltsamerweise gab es an den Orten, an denen Cronos auftauchte, nie Tote, die mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten. Zumindest keine Menschen, und das nötigte Ashton sogar einen widerwilligen Respekt vor der Schläue dieses Monsters ab.
Cronos fuhr an jenem Abend mit einem roten Cabrio vor, das von einer jungen Frau gesteuert wurde. Sie parkte direkt vor dem Haus, in dem der Mann wohnte, den Ashton beschattete. Ashton war sich bewusst, dass er es unmöglich mit zwei Vampiren gleichzeitig aufnehmen konnte. Deshalb blieb ihm nichts weiter übrig als mit dem Fernglas aus der Entfernung zitternd vor Hass zu beobachten, was in der Wohnung des Mannes vor sich ging und zu hoffen, dass er die Fütterung der Vampire überleben würde.
Was Ashton dadurch miterlebte, vermochte er jedoch nicht einzuordnen. Cronos beteiligte sich nicht etwa an der Mahlzeit, wie Ashton vermutet hatte. Die Vampirin reagierte überaus erschrocken auf sein Auftauchen und versuchte vor ihm zu fliehen, schaffte es aber nicht. Er hatte sie gepackt, noch ehe sie den nächstbesten Ausgang – ein offenes Fenster – erreichte, zückte einen Dolch oder ein Messer und tötete sie damit.
Zunächst glaubte Ashton, Cronos wollte damit die Beute für sich allein haben, genau wie er damals seinen Konkurrenten um Mary ausgeschaltet hatte. Doch der Vampir machte keine Anstalten, den jungen Mann auszusaugen. Er starrte ihm eine Weile in die Augen und sagte etwas, das Ashton aus der Entfernung natürlich nicht hören konnte. Darauf legte sich der junge Mann ins Bett, drehte sich zur Seite und schien auf der Stelle einzuschlafen.
Cronos sammelte die Kleidung der toten Vampirin ein, verließ die Wohnung und fuhr mit der Frau im Cabrio davon. Ashton machte sich keine weiteren Gedanken über Cronos’ seltsames Verhalten, sondern ließ durch die Beziehungen von PROTECTOR über das Kennzeichen des Cabrios dessen Halter feststellen. Der Wagen gehörte einer Rebecca Morris, die hier in New Orleans lebte und als Managerin bei einer Exportfirma arbeitete. Ashton legte sich vor ihrer Wohnung auf die Lauer und brauchte nur eine einzige Nacht zu warten.
Vincent Cronos besuchte Rebecca Morris nach Sonnenuntergang. Und zu Ashtons profundem Abscheu schienen die beiden ein Liebespaar zu sein. Offenbar hatte der Vampir die junge Frau noch nicht gebissen und spielte erst noch eine Weile mit ihr, ehe er sie zu seiner Mahlzeit machte. Ashton hatte nicht vor, es so weit kommen zu lassen.
Mit Sicherheit zwang Cronos die junge Frau mit seinen hypnotischen Fähigkeiten mit ihm zu schlafen, und Rebecca Morris ahnte wahrscheinlich gar nicht, dass ihr Geliebter ein Vampir war. Ashton konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendeine Frau freiwillig mit einem Vampir schlafen würde, wenn sie wüsste, was für ein Geschöpf sie da vor sich hatte.
Er spionierte die Umgebung von Rebecca Morris’ Haus zwei Tage lang genauestens aus und traf sorgfältig seine Vorbereitungen. Heute war es endlich so weit. Wenn nicht noch irgendein Teufel sein perverses Spiel mit ihm trieb, so würde Ashton heute Nacht endlich den Mörder seiner Frau zur Strecke bringen. Cronos war niemals besonders wachsam, wenn er mit Rebecca zusammen war. Das war Ashtons Chance. Wenn er schnell handelte, würde es in wenigen Sekunden erledigt sein.
Rebecca Morris stand vor der weit geöffneten Balkontür ihrer Wohnung und starrte hinaus in die zunehmende Dämmerung. Sie war nur mit einem dünnen Negligé bekleidet und erwartete ihren Liebhaber, sehnte jeden Abend sein Kommen herbei, sobald die Sonne untergegangen war. Sie lächelte in freudiger Erregung und bemerkte nicht den schwarzen Schatten, der auf dem gegenüberliegenden Dach lauerte und sie keinen Augenblick aus den Augen ließ.
Ashton fieberte dem Erscheinen des Vampirs genauso entgegen wie sie. Er hatte sich unter einem mit Teer getränkten Plaid verborgen, das zwei Vorteile hatte. Es lieferte
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