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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18
Autoren: Émile Zola
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die anrüchigen und die verkrachten Existenzen. Aber es fehlte ihm nicht an Achtung vor Jantrous scharfem Verstand, und er wußte wohl, daß man die tapfersten Truppen aus den Verzweifelten zusammenstellt, aus jenen, die alles wagen, weil sie alles zu gewinnen haben. Er gab sich wohlwollend.
    »Eine Stellung?« wiederholte er. »Nun, da läßt sich vielleicht was machen. Besuchen Sie mich mal.«
    »Rue Saint-Lazare wohnen Sie jetzt, nicht wahr?«
    »Ja, Rue Saint-Lazare. Kommen Sie gleich früh.«
    Sie plauderten. Jantrou war über die Börse sehr aufgebracht; ein Schurke müsse man sein, um dort Erfolg zu haben, wiederholte er mit dem Groll eines Mannes, der bei seinen Schurkenstreichen kein Glück gehabt hatte. Das war nun vorbei, er wollte etwas anderes versuchen; dank seiner Universitätsbildung und seinen Bekanntschaften in der Gesellschaft, so meinte er, konnte er sich eine schöne Anstellung bei den Behörden verschaffen. Saccard pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei. Und als sie dann die Gitter hinter sich gelassen hatten und auf dem Bürgersteig bis zur Rue Brongniart gegangen waren, erregte ein dunkles Kupee ihr Interesse: mustergültig bespannt, hielt es in dieser Straße, wobei das Pferd zur Rue Montmartre stand. Indes der Rücken des Kutschers hoch oben auf dem Bock in steinerner Unbeweglichkeit verharrte, tauchte ein Frauenkopf, wie sie bemerkten, zweimal hintereinander am Wagenfenster auf und verschwand gleich wieder. Plötzlich beugte er sich heraus und warf einen langen, ungeduldigen Blick hinter sich in Richtung Börse.
    »Die Baronin Sandorff«, murmelte Saccard.
    Es war ein ganz ungewöhnlicher brauner Kopf mit schwarzen Augen, die unter bläulichen Lidern brannten, ein leidenschaftliches Gesicht mit blutrotem Mund, das nur eine zu lange Nase entstellte. Sie schien sehr hübsch, zu reif für ihre fünfundzwanzig Jahre; sie sah aus wie eine Bacchantin, die sich von den größten Couturiers31 des Kaiserreichs kleiden ließ.
    »Ja, die Baronin«, wiederholte Jantrou. »Ich habe sie bei ihrem Vater, dem Grafen de Ladricourt, kennengelernt, als sie noch ein junges Mädchen war. Oh, der war ein wütender Spekulant und von einer empörenden Rohheit! Jeden Morgen holte ich seine Orders ab, und einmal hat er mich beinahe verdroschen. Ich habe ihm nicht nachgeweint, als er an einem Schlaganfall gestorben ist, nachdem er sich durch eine Reihe jämmerlicher Liquidationen32 ruiniert hatte … Die Kleine mußte sich damals entschließen, den österreichischen Botschaftsrat Baron Sandorff zu heiraten, der fünfunddreißig Jahre älter war als sie und den sie mit ihren feurigen Blicken buchstäblich verrückt gemacht hatte.«
    »Ich weiß«, sagte Saccard.
    Der Kopf der Baronin war wieder im Kupee verschwunden. Aber gleich darauf erschien er von neuem, glühte noch mehr, und sie verrenkte sich bald den Hals, um in die Ferne auf den Platz zu schauen.
    »Sie spekuliert, nicht wahr?«
    »Oh, wie eine Irre! An allen Krisentagen kann man sie dort in ihrem Wagen sehen, wie sie auf die Kurse lauert, sich fieberhaft Notizen in ihr Merkbuch macht, Orders erteilt … Und sehen Sie, auf Massias hat sie gewartet: da geht er zu ihr.«
    In der Tat, mit dem Kurszettel in der Hand, rannte Massias zu ihr, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, und sie sahen, wie er sich auf den Wagenschlag des Kupees stützte, den Kopf hineinsteckte und ein großes Palaver mit der Baronin begann. Saccard und Jantrou entfernten sich ein wenig, um nicht bei ihrem Spionieren überrascht zu werden, und als der Remisier zurückkam, immer noch im Laufschritt, riefen sie ihn an. Er warf erst einen Blick zur Seite und vergewisserte sich, daß er nicht gesehen wurde; dann blieb er stehen, ganz außer Atem; sein blühendes Gesicht mit den großen blauen Augen von kindlicher Reinheit war hochrot und trotzdem fröhlich.
    »Was sie bloß haben!« rief er. »Suez purzelt auf einmal. Man spricht von einem Krieg mit England. Eine Nachricht, die sie ganz aus dem Häuschen bringt und von der man nicht mal weiß, woher sie stammt … Ich bitte Sie, Krieg! Wer kann das bloß erfunden haben? Vielleicht ist das auch von ganz allein entstanden … Richtig wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«
    Jantrou blinzelte mit den Augen.
    »Die Dame beißt immer noch an?«
    »Oh, wie wild! Ich bringe Nathansohn ihre Orders.«
    Saccard, der das hörte, stellte ganz laut eine Überlegung an.
        »Ja richtig! Man hat mir doch erzählt, daß Nathansohn in die Kulisse
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