Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis des Himmels

Das Geheimnis des Himmels

Titel: Das Geheimnis des Himmels
Autoren: Horst Schoch
Vom Netzwerk:
Lehrgemeinschaft mehr. Einzelne von uns profilieren sich auf Kosten der anderen. Vor den Studenten muss man sich jetzt auch mehr in Acht nehmen als früher. Wahrheit wird nicht mehr um ihrer selbst willen gesucht, sondern um des eigenen Vorteils willen. Oder, was noch viel schlimmer ist, da dies ja geradezu einen Verrat an dem darstellt, was wir gelobt haben: Statt der Wahrheit und der Mehrung der Erkenntnisse zu dienen, wird nach einer Erkenntnis gesucht, die vorher feststehende Meinungen bestärken soll. Doch damit führen wir unser eigenes Lehren ad absurdum. Wie sich das auf die Abwehr der neuen lutherischen Lehre auswirkt, kannst du dir vorstellen. Wir beschäftigen uns gar nicht mehr inhaltlich mit ihr. Wir zeigen ihren Irrtum nur noch anhand der päpstlichen Autorität oder mithilfe von Väterzitaten auf, anstatt Hand an die Wurzel zu legen und zu zeigen, worin sie irrt. Und außerdem könnten wir das auch kaum, da ja die Schriften dieses Luthers verboten sind und zuhauf ins Feuer wandern. Ich bin überzeugt, dass dies ein großer Fehler ist. Denn selbst wenn dieser Martin Luther einen Ketzerhut auf dem Kopf hat, wovon ich überzeugt bin, dann reicht es nicht aus, nur zu
verbieten
– nein, es muss verstanden werden,
warum
verboten wird. Gerade deshalb bedarf es einer gründlichen Erforschung, damit eine genauso gründliche Widerlegung erfolgen kann. Nichts dergleichen geschieht. Dabei bin ich vereidigt worden, um genau das zu tun.“
    Bernhardi hatte selten eine so lange Rede außerhalb seinerStudentenschaft gehalten. Elisabeth konnte er mit seinen Sonntagsreden ohnehin nicht imponieren, deshalb unterließ er sie auch bei ihr. Aber eben hatte sie mit ihrer geschickten Dosierung aus Besorgnis und Anfrage alle Dämme geöffnet. Und so sprach Bernhardi noch weiter.
    „Und die Sache mit meinem kleinen Fund. Das, was mir zu Anfang als nette Abwechslung in meinem Alltag erschienen ist, als kleine Knobelaufgabe, das ist mir jetzt auch zum Gegenstand meiner Ratlosigkeit geworden. Ich komme mit dieser unheimlichen Aneinanderreihung griechischer Buchstaben nicht weiter.“
    Bernhardi schwieg abrupt.
    Elisabeth wusste nur zu genau, wie schwer der Zwiespalt war, in dem ihr Mann sich befand. Auf keinen Fall konnte er einfach so weitermachen, sich nur auf seine Pflichten zurückziehen und möglichst viel an sich abprallen lassen. Nach einer Weile zog sie ihre rechte Augenbraue hoch. Bernhardi ahnte, dass Elisabeth eine vernünftige und hilfreiche Antwort geben würde, und fürchtete sich gleichzeitig davor.
    „Was deine Stellung an der Universität betrifft, so solltest du dich nicht verstecken. Was du als falsch erkennst, wirst du auch ablehnen. Wenn du das ehrlich tust, wird auch der Respekt dir gegenüber steigen. Es kommt nicht darauf an, immer der beliebteste Magister zu sein, sondern der ehrlichste und gewissenhafteste. Sonst musst du dich umsehen und vielleicht eine andere Möglichkeit der Entfaltung suchen.“ Verschmitzt fügte sie noch hinzu: „Auch wenn du nicht mehr der Jüngste bist!“ Dann sprach sie leise weiter: „Der Herzog wird so schnell nicht auf deine Dienste verzichten können. Vielleicht erreichst du ja so etwas wie eine Stelle als Ratgeber am Hof, wer weiß? Es muss nur geschickt eingefädelt werden. Aber lote erst deine Freiheiten an der Universität aus.“
    „Du hast sicher recht, aber alleine werde ich es auf Dauernicht schaffen. Wie du weißt, Liese, haben sich die Zeiten an dieser Lehranstalt geändert. Aber versuchen will ich es. Hast du vielleicht auch einen klugen Rat bezüglich meines Fundes?“
    Die letzte Frage war mit einem leicht ironischen Unterton ausgesprochen, was Elisabeth aber großzügig übersah.
    „Mir ist da eine Idee gekommen, von der ich allerdings nicht weiß, ob sie glücklich ist. Erinnerst du dich, Leo, als ich dir von meiner Zeit im adligen Damenstift erzählte?“ Bernhardi nickte. „Einer unserer Lehrer war ein Dr. Samuel Praetorius. Er unterrichtete uns in Mathematik und Logik. Immer wenn wir über die Fallstricke des Rechnens stolperten, sah er uns so mitleidig an. Vermutlich dachte er, dass einige von uns besser in einem Haushalt aufgehoben wären, aber er versuchte immer wieder, unsere Stärken, die auch wir in der Logik hatten, zu fördern. Er schien also nicht dem Glauben anzuhängen, das Weib habe von Natur aus einen Mangel an Denkvermögen … womit er, unter uns gesagt, eine Ausnahme bildete. Doch ich schweife ab. Dieser Dr. Praetorius pflegte uns
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher