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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken
Autoren: Daphne DuMaurier
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und damit ist die Reise halbwegs schon im Eimer. Im übrigen hat ein Reiseleiter die Alkoholzufuhr ohnehin in engen Grenzen zu halten. Was auch geschieht, er braucht einen klaren Kopf, und der Fahrer desgleichen.
    Das ist nicht immer leicht zu erreichen.
    Tropfend vom Duschbad, telefonierte ich mit Perugia und hangelte mich anschließend gerade in ein frisches Hemd, als der Teufelsapparat zum vierten Male Laut gab. Noch ein Alarmruf aus der Herde.
    »Mr. Fabbio?«
    »Am Apparat.«
    »Ich mache mir schreckliche Sorgen um meinen Mann. Er hat Schmerzen, direkt unter dem Herzen. Ich fürchte, wir müssen einen Arzt zu Rate ziehen.«
    Ich bin sehr stolz darauf, daß ich nach fünf Tagen die Stimme jedes einzelnen erkennen kann. Auf dieser Reise war das überdies eine Kleinigkeit, angesichts der scharfen Trennung der englischen und der amerikanischen Gruppe. Außerdem hatte die Saison eben erst eingesetzt, so daß sich die Skala der Akzente noch in Grenzen hielt. Im Hochsommer konnten das Genäsel der Mittelwestler oder die breiten Vokale der nördlichen Midlands jeden Sprachexperten aus der Fassung bringen. Die Stimme, die jetzt sprach, gehörte der kleinen Mrs. Morton, die mit einem fetten Mann behaftet war und einer hübschen Tochter, die sie niemals aus den Augen ließ.
    »Wie ist Ihre Zimmernummer, Mrs. Morton?«
    »203.«
    »Ich komme sofort hinüber.«
    Ich habe einmal erlebt, daß mir ein Reiseteilnehmer unter den Händen wegstarb, was die ganze Fahrt zum Scheitern brachte. Es passierte gleich am ersten Tag, mitten im Omnibus, und erschien natürlich jedermann als ein böses Omen. Die halbe Gruppe wünschte umzubuchen oder kurzweg aufzugeben oder zumindest diese spezielle Reise abzubrechen.
    Wenn ernsthaft Krankheit im Anzug ist, das habe ich gelernt, muß man den Betreffenden umgehend ins Krankenhaus schaffen, um Schlimmeres zu verhüten. So war ich in fünf Minuten fertig und klopfte an die Tür des Zimmers 203. Die Tochter machte auf.
    »Ich glaube nicht, daß es gefährlich ist«, flüsterte sie mir zu.
    Mr. Morton lag auf einem der beiden Betten, von Kissen und Polstern gestützt. Seine Frau saß auf dem anderen Bett und beäugte ihn besorgt. Er hatte die Hand aufs Herz gelegt und sah elend aus.
    Plötzlich fiel es mir wieder ein: Ich hatte ihn beim Mittagessen eine Riesenportion Spaghetti verspeisen sehen, die er mit Palombaccia al tartufo krönte. Ein Kellner hatte mir einmal erzählt, daß Täubchen auf Nudeln die Leber eines Menschen für immer ruinieren könnten. Ich fühlte Mr. Morton den Puls, behorchte sein Herz, klopfte seine Kissen glatt – derlei Gesten wirkten vertrauenerweckend – und wandte mich dann an seine angsterfüllte Frau.
    »Kein Grund zu ernster Besorgnis«, sagte ich. »Das habe ich schon Dutzende von Malen erlebt. Die kräftige Luft von Perugia und Assisi ist für Menschen mit etwas Übergewicht nicht immer das Gegebene. Dann die Hitze im Bus und das stundenlange Sitzen. Das kann in der Herzgegend etwas auslösen, was wir einen ›sfiato‹ nennen, eine Art Stockung. Die Sache ist nicht gefährlich und wird schnell abklingen. Einen Arzt brauchen wir nicht zu alarmieren.«
    Einem Kunden darf man nie erzählen, daß er wie ein Ferkel zuviel gefressen hat. Er würde sich lieber eine latente Thrombose nachsagen lassen als simple Gefräßigkeit.
    »Ich empfehle Mineralwasser, zwei Tabletten, wie ich sie für den Notfall immer bei mir führe (es handelte sich um ganz gewöhnliche Abführtabletten), und absolute Ruhe. Kein Abendessen. Morgen wird Mr. Morton wieder völlig in Ordnung sein.«
    Ich verbeugte mich lächelnd. Mrs. Morton nahm die Tabletten und goß ihrem Eheherrn ein Glas Mineralwasser ein. (Angelsachsen trinken meist kein Leitungswasser. Sie leben in der Überzeugung, daß sie daraufhin sofort vom Typhus befallen würden.)
    »Wie schade«, sagte sie. »Nun müssen wir auf die Abendrundfahrt verzichten. Ich möchte meinen Mann schließlich nicht allein lassen, und Sally darf ohne mich nicht mit.«
    Die Tochter – sie konnte nicht älter als siebzehn sein und wirkte sehr neugierig und erwartungsvoll – sank in sich zusammen wie eine Treibhauspflanze, die plötzlich von einem rauen Luftzug getroffen wird. Seit zwei Tagen hatte sie nun schon lächelnde Blicke und kleine Bemerkungen mit einem der jungen ›Barbaren‹ getauscht, und ich vermutete, daß das Programm des heutigen Abends, »Rom bei Nacht«, in ihrer Vorstellung die Erfüllung eines nicht ganz unmöglichen Traumes
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