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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts
Autoren: Gillian Shields
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würde und zu der Heldin werden könnte, von der Miss Scratton irgendwie geglaubt hatte, dass sie in mir wäre. Ich musste spüren, dass ich stark war und alles tun konnte, ohne dabei Hilfe von außen zu bekommen.
    In diesem Augenblick sah ich ihn wieder, den Jungen mit dem ruhigen Lächeln und der Musik in der Seele. Er stand im Flur vor einem der Übungsräume der Schule und plauderte mit einigen Mädchen, die ebenfalls Unterricht bei Mr. Brooke hatten. Ich verbarg mich rasch im Eingang zu einem der anderen leeren Klassenzimmer, so dass ich ihn beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Ich hatte das gefaltete Stück Papier mit seiner Musik immer noch in meiner Tasche. Ich hätte einfach zu ihm hingehen und sagen können: Hi, ich habe die Noten, die du verloren hast – dein Lied. Und übrigens, wie heißt du eigentlich?
    Genau das hätten Camilla und Katie und all die anderen gemacht. Aber ich wollte mich nicht wie ein unerwünschtes Geschenk auf ihn stürzen. Und abgesehen davon musste ich seinen Namen nicht kennen. Ich zog es vor, ihn als Schüler zu sehen – als den Musiker. Genau das war er für mich. Ich wollte nicht herausfinden, dass er in Wirklichkeit Rupert Digby-Rawlins hieß oder einen ähnlich wichtigtuerischen Namen hatte, dass seine Eltern die absolut angesagteste, herrlichste Wohnung in Hampshire besaßen, total im Geld schwammen, o ja, und wir sehen sie auch jedes Jahr in ihrem Schweizer Chalet, wenn wir zum Skifahren dort sind …
    Ich wollte nicht, dass er so war.
    Ich versuchte, ihn von meinem Versteck aus zu beobachten, als würde ich zu ihm hingezogen werden, und prägte mir seine Gesichtszüge stückchenweise ein, beobachtete jeden flüchtigen Ausdruck. Er war groß, hatte blonde Haare und ein blasses, schmales Gesicht. Er sah aus, als hätte er zu viel gelernt und nicht genug gegessen, aber er wirkte innerlich glücklich, als würde heimlich etwas wie ein Licht in ihm brennen. Ich wusste nicht, ob er das war, was die Menschen als gutaussehend bezeichneten, aber ich mochte seine scharfgeschnittenen Wangenknochen und die geschwungenen Lippen. Seine Augen waren so hellblau wie ein Stück Himmel. Wenn etwas sein Interesse erregte, veränderten sie sich, waren sie nicht mehr kühl und heiter, sondern aufmerksam und lebhaft.
    Ich hatte den Eindruck, als wäre es mir zwar gelungen, für einen kurzen Moment sein Interesse zu erregen, als ich in seine Unterrichtsstunde geplatzt war, aber es schien, als würde er sich genauso gern mit den anderen Mädchen von Wyldcliffe unterhalten. Scham durchzuckte mich und erinnerte mich daran, dass ich sterben würde, wenn Evie und Sarah wüssten, dass ich einen Jungen auch nur halbwegs mit Interesse betrachtete. Ich hatte mir immer eingeredet, dass Liebe und Romanzen etwas für meine Freunde waren, aber nicht für mich. Mein Herz war schon so zerrissen genug; es würde nie heilen, solange meine Mutter noch meine Feindin war. Aber wenn ich meiner eigenen Mutter schon nicht trauen konnte, wie dann einem Fremden?
    Ich war die verrückte Helen Black, ich war allein – vom Schicksal gezeichnet und ausgesondert –, und so würde es auch immer bleiben. Ich wandte mich ab, unbemerkt von dem Jungen und seiner kleinen Schar von Bewunderinnen, und ihr Gelächter durchbohrte mich wie Pfeile.

Neun
    Aus dem Tagebuch von Helen Black
30. September
    Ich möchte wieder zu den Moors gehen, zum Blackdown Ridge.
    Meine Mutter wartet. Ich höre wie sie nach mir ruft. Mein Herz sehnt sich danach, zu ihr zu gehen, auch wenn mein Kopf mir sagt, dass ich es lassen soll. Evie und Sarah würden mir sicherlich raten, mich von ihr fernzuhalten und sie wie ein übles Gift zu behandeln, aber sie haben nicht den Kummer in ihrer Stimme gehört. Sie haben nicht den Schmerz in ihren Erinnerungen, ihr Bedauern gespürt. Ich wünschte, Miss Scratton könnte mich führen. Oh, ich bin so verwirrt! Nichts scheint noch irgendwie klar zu sein.
    Aber ich muss mich entscheiden. Vertraue ich ihr? Soll ich versuchen ihr zu helfen, oder sie für immer in dem schwarzen Fels lassen? Ich hatte im letzten Term gesagt, dass alles gut werden würde. »Alles wird gut, und allen wird es gut gehen …« Aber wie kann das sein, wenn meine eigene Mutter meine Gefangene ist? Und wenn ich sie freilasse und sie verrät mich und entlässt ihre verzerrte Macht wieder auf diese Welt … ich kann meinen Freundinnen das nicht antun. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass sie da oben verrottet …
    Mitten in dieser
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