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Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Das Geheimnis der Rosenkreuzerin

Titel: Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Autoren: Marie Klausen
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oder Hausarrest wären mir lieber!«
    »Das heben wir uns für später auf, wenn dir unbedingt danach ist. Jetzt komm, wir holen Benjamin ab, und dann fahren wir nach Hause.«
    »Muss ich?«
    »Ja!«
    Eigentlich sollte sie mit ihr über das Schulschwänzen reden. Dieses Gespräch würde jedoch nur in einer Sackgasse enden. Als Ärztin wusste sie, dass sie nicht die Symptome, sondern die Ursache behandeln musste, und der Grund dafür, dass Katharina nicht mehr zur Schule ging, lag eindeutig nicht bei ihr.
    Jetzt freute sie sich über ihren Entschluss, sich Urlaub zu nehmen, um Zeit für die Kinder zu haben, auch wenn sie sich vor der Auseinandersetzung mit ihrer Tochter fürchtete. Denn es war keineswegs sicher, dass sie Erfolg haben würde.
    Die Wahl, wohin sie ein paar Tage mit Katharina und Benjamin fahren wollte, nahm ihr ein Brief der Stadtverwaltung von Altdorf ab, den sie zwischen der Werbung im Postkasten fand. Der Absender überraschte sie, denn sie kannte weder die Stadt noch einen Menschen, der dort lebte. Als sie den Brief las, stieg ihre Verwunderung ins Unermessliche.
    Die Verwaltung teilte ihr nämlich mit, dass bei einer Neuvermessung der Gemarkung herausgekommen war, dass sie von ihrem Großvater Daniel Valentin Luther ein Grundstück mit einem Haus darauf geerbt hätte. Marta ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. Zuerst hielt sie den Brief für einen schlechten Scherz, las ihn wieder und wieder. Dann rief sie in der Stadtverwaltung an. Dort bestätigte man ihr die Richtigkeit des Schreibens.
    Seltsam war das Ganze in der Tat. Mysteriös und verstörend wie der Traum, den Marta auch nicht einzuordnen verstand, denn ihr Großvater lag seit siebenundzwanzig Jahren auf dem Friedhof des Hamburger Ortsteils Ohlsdorf begraben. Im Internet sah sie nach, wo um alles in der Welt dieses Altdorf zu finden war, und stellte fest, dass die kleine Stadt sich in der Nähe von Nürnberg befand. Im Grunde lag ganz Deutschland zwischen dem Ort, in dem ihr Großvater begraben worden war, und dem Städtchen, in dem er ein Haus besessen hatte. Das verwunderte sie. Und sie dachte mit leiser Melancholie an die Trauerfeier für ihren Großvater, an die Beisetzung des Mannes, der versucht hatte, die Vaterstelle in ihrem Leben auszufüllen, obwohl er dazu wenig geeignet schien.
    Ihr Hirn hatte die Bilder säuberlich gespeichert. Ein typischer Hamburger Pastor mit Talar und Beffchen, die ganze Last des Protestantismus auf seinen Schultern tragend, baute sich neben dem Grabstein auf, von dem der Name Daniel Valentin Luther in Goldlettern im Sonnenlicht erstrahlte. Vier Träger hatten den Eichenholzsarg neben die Grube gestellt. Marta lehnte sich sacht an ihre Mutter. Gemeinsam mit ihnen erwiesen noch ein Onkel, zwei Tanten und ein paar Freunde dem Großvater die letzte Ehre, eine kleine Trauergemeinde, die sonst nichts miteinander verband.
    Es wäre zu viel gesagt, der Großvater hätte Martas Vater, der kurz nach ihrer Geburt bei einer Bergtour im Himalaya verschollen war, ersetzen können, aber er hatte sich zumindest darum bemüht. Und nun nahm sie für immer Abschied von dem Mann, den sie wie einen Vater geliebt hatte und der dennoch für sie ein Rätsel geblieben war. Immer hatte sie das Gefühl gehabt, dass er noch ein anderes, ein geheimes Leben führte, wie ein Geheimagent, dachte sie als Kind. Auch seine häufigen Reisen, die er immer überraschend antrat und Dienstreisen nannte, beflügelten ihre Fantasie, weil sie so ungeplant, so unerwartet notwendig wurden. Obwohl sie ihren Großvater liebte und sich sicher war, dass er genauso tiefe Gefühle für sie hegte, schmerzte es sie, als sie mit dem Älterwerden immer stärker fühlte, dass es im Leben des Großvaters einen Bereich gab, den er sorgfältig vor ihr verbarg, zu dem es für sie keinen Zutritt gab.
    Die Freundlichkeit des Sonnenlichts wirkte künstlich, die Vögel wetteiferten in fröhlichen Harmonien, als wollten sie den traurigen Anlass umlügen, und das Grün der Bäume suchte dreist den Tod zu verdrängen. Ort und Anlass stimmten für ihr Empfinden überhaupt nicht über ein. Das irritierte das siebzehnjährige Mädchen, das sie damals war.
    Plötzlich hatte sie gespürt, dass jemand in ihrem Rücken sie beobachtete. Vorsichtig spähte sie über die Schulter. Unter einer weit ausladenden Ulme entdeckte sie eine verschleierte Dame. Sie stütze sich auf einen jungen Mann mit dichten schwarzen Locken. Genaueres vermochte sie durch den Vorhang der Tränen nicht zu
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