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Das Geheimnis der Puppe

Das Geheimnis der Puppe

Titel: Das Geheimnis der Puppe
Autoren: Hammesfahr Petra
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und rief noch einmal:»Wo bist du denn, Püppchen? Komm zu mir. Wir müssen gehen.«
    Es war alles ganz normal. Sie wirkte nicht durchscheinend oder sonstwie geisterhaft, nur jünger, erheblich jünger, um dreißig Jahre jünger. Neben mir stieß Anna einen freudig erregten Laut aus. Dann kam ein hastig hervorgesprudeltes:»Mama.«
    Und sie drehte sich um und lief auf die Tür zu. Jetzt schrie ich doch:»Nein! Bleib hier, Anna! Bleib hier! Laura kommt bald zurück.«
    Aber ich rannte ihr nicht nach. Ich konnte nicht. Ich konnte nur am Fenster stehen und zuschauen. Ich sah, wie Anna um die Hausecke kam, so eilig, so eifrig. Ich sah, wie Marianne sich bückte, wie sie das Kind auf den Arm nahm, sich aufrichtete, das Kind an sich drückte. Wie sich die kleinen Ärmchen um ihren Hals legten, wie Marianne die blassen Wangen küßte. Dann ging sie langsam zur Hausecke, und ich lief in Dannys Zimmer, stellte mich dort ans Fenster. Die Einfahrt, ein Stück der Straße lag vor mir. Dann kamen sie um das Haus herum. Marianne trug das Kind immer noch auf dem Arm. Und es war noch genauso wie vor wenigen Minuten, als es neben mir in meinem Zimmer stand. Die kleine Jeanshose, der Pullover mit dem eingestickten Schmetterling, winzige Sportschuhe an den Füßen. Marianne ging mit ihm über den Plattenweg neben der Einfahrt auf die Straße zu. Sie sprach mit dem Kind. Ich konnte es an ihren Lippen ablesen, hören konnte ich es nicht. Dann bogen sie in die Straße ein und verschwanden aus meinem Blickfeld. Wie lange ich noch am Fenster stand, weiß ich nicht. Als Tessa eine Stunde später nach der nächsten Mahlzeit zu jammern begann, saß ich wieder am Schreibtisch. Aber schreiben konnte ich nicht mehr, ich saß einfach nur da. Ich glaube fast, ich wartete auf die Gänsehaut oder das Entsetzen, doch da war nur so ein entsetzlich lahmes Gefühl im Innern. Laura kam erst gegen halb elf zurück. Ich hatte Tessa versorgt und mich wieder an den Schreibtisch gesetzt. Als ich den Wagen kommen hörte, ging ich hinunter. Ich wußte nicht, wie ich es Laura beibringen sollte. Ich wußte überhaupt nichts mehr. Sie war so ahnungslos. Sie war fest davon überzeugt, daß Anna in meinem Arbeitszimmer spielte, daß ich nur hinuntergekommen war, um ihr bei den Taschen zu helfen. Ich trug alles in die Küche. Dann nahm ich Laura in die Arme.
    »Anna ist weg«, sagte ich. Laura reagierte nicht.
    »Ihre Mutter hat sie eben abgeholt«, sagte ich. Und ich wollte noch anfügen, daß wir doch damit hätten rechnen müssen, daß sich eines Tages die Eltern bei uns melden, daß sie ihr Kind von uns zurückverlangten. Aber dazu kam ich nicht mehr. Laura befreite sich sanft, aber nachdrücklich aus meinen Armen, schaute mir ruhig und gefaßt ins Gesicht.
    »Das ist unmöglich, Tom.«

    »Nein. Nein, sie ist wirklich abgeholt worden. Ihre Mutter war hier, und .«

    »Ihre Mutter ist tot«, widersprach Laura immer noch ruhig.
    »Und ihr Vater ist ebenfalls tot. Anna hat niemanden mehr, der sie hier abholen könnte. Sie hat nur mich. Und sie gehört mir. Ich lasse sie mir nicht wegnehmen. Wenn du sie weggeschickt hast, Tom, dann sorg dafür, daß sie zurückkommt.«

    »Ich habe sie nicht weggeschickt«, versicherte ich.
    »Sie lief hinaus.«
    Und mehr konnte ich ihr nicht erklären. Nicht gleich. Laura lief hinaus in den Garten. Länger als eine Stunde suchte sie zwischen den Büschen herum. Immer wieder hörte ich sie rufen, von Mal zu Mal drängender und verzweifelter. Als sie endlich zurück ins Haus kam, war sie still und kalt wie ein Stück Eis. Den ganzen Tag über war sie so. Am Nachmittag suchte sie noch einmal zusammen mit Danny den Garten ab. Und bis zum Abend wich sie mir aus. Gleich nach dem Essen brachte sie Danny zu Bett, blieb gleich oben, um Tessa zu versorgen. Ich stellte das Geschirr zusammen, und als ich Lauras Schritte auf der Treppe hörte, setzte ich mich an den Tisch. Sie kam nicht in die Küche, blieb bei der Tür stehen.
    »Und jetzt erzähl mir noch einmal genau, wie das war«, verlangte sie.
    »Bleibst du dabei, daß Annas Mutter hier war.«

    »Woher weißt du, daß ihre Mutter tot ist.«
    fragte ich statt einer Antwort. Laura lachte, sehr kurz und sehr hart.
    »Das nennt man wohl Betriebsblindheit«, sagte sie.
    »Hier im Dorf sagt man eher: Er sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Tust du nur so, oder bist du wirklich ahnungslos.«
    Ahnungslos war ich nicht mehr. Aber noch wollte ich mir einreden, daß ich mich getäuscht hatte.
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