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Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Johanna Geiges
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Schuldigen.
    Pater Urban sah seine Aufgabe als Prior auch darin, der Wahrheit zu dienen. Manchmal erforderte das eine gewisse Auslegung darüber, was Wahrheit war. Sie konnte zum Guten oder zum Bösen verwendet werden, indem man sie mit Halbwahrheiten anreicherte, zum falschen oder richtigen Zeitpunkt ans Licht der Öffentlichkeit brachte oder sie ganz unterschlug. Die Wahrheit war eine heikle Angelegenheit, vor allem dann, wenn es um die Belange der Kirche oder des Reiches ging.
    Pater Urban seufzte und nahm einen Schluck aus seinem Becher, der mit verdünntem Wein gefüllt war, als er die Glocke zweimal schlagen hörte. Zwei Uhr nachts. Seit der Vesper ließ ihn der Erzbischof jetzt schon warten. Zum dritten oder vierten Mal verglich er noch einmal die beiden Bücher, die er für den Erzbischof bereitliegen hatte. Niemand wusste davon, er hatte seine Entdeckung für sich behalten. Dazu war die Angelegenheit viel zu heikel. So sehr war er in seine Gedanken vertieft, dass er das mehrmalige Klopfen an der Tür beinahe überhört hätte.
    »Ja, bitte!«
    Er drehte sich um und erkannte den Laienbruder, der um diese Zeit den Schließdienst versah und nun den späten Gast anmeldete.
    »Pater Urban – Seine Eminenz, der Erzbischof.«
    Der Prior stand auf und verneigte sich angemessen vor seinem hohen Gast, der in Begleitung eines Mannes hereinkam, den Pater Urban nur zu gut kannte. Es war Infirmarius Sixtus vom Kloster Schönau. Ein unscheinbarer dunkler Mann, den man nicht umsonst den Schatten des Erzbischofs nannte. Beflissen und skrupellos, immer im Hintergrund, stets auf einen Blick oder ein Zeichen seines Herrn lauernd, um einen Befehl sogleich in die Tat umzusetzen. In der Wahl seiner Mittel galt Pater Sixtus dabei nicht gerade als wählerisch.
    »Seid willkommen, Eure Eminenz. Kann ich Euch etwas anbieten?«, sagte Prior Urban betont freundlich.
    Ungnädig hielt ihm der Erzbischof die beringte Hand zum ehrerbietigen Kuss hin. Trotz seiner angeblichen Unpässlichkeit sah der Würdenträger gesund wie immer aus, groß und breit mit markanten grauen Locken unter seinem violetten Pileolus, dem Bischofskäppchen. Doch sein von zahlreichen Pockennarben entstelltes Gesicht verlieh ihm einen Zug von Grausamkeit. Er legte seinen schweren Mantel ab, bevor er sich ans Feuer setzte, ohne Pater Urbans Begrüßungsworte zu erwidern.
    Pater Urban wandte sich Pater Sixtus zu.
    »Pater Sixtus – es freut mich, Euch zu sehen!«
    Der Pater nickte stumm, in seinen Augen lag wie immer ein stiller Vorwurf, der jedermann sofort ein schlechtes Gewissen machte und ihn innerlich schaudernd nachdenken ließ, welche längst vergessen geglaubten Vergehen gleich ans Licht des Tages gezerrt und einem zum Verhängnis werden würden.
    Vom Kamin her ertönte die knarrende Stimme des Erzbischofs.
    »Jetzt kommt schon her und setzt Euch. Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen. Was kann es so Wichtiges geben, dass wir das nicht im Refektorium vor den Mitbrüdern besprechen können?«
    Pater Urban blieb stehen, während sich Pater Sixtus neben den Erzbischof setzte und den Prior mit wichtigtuerischer Miene anstarrte.
    »Ich hoffte eigentlich, Euch unter vier Augen sprechen zu dürfen, Eure Eminenz«, sagte Pater Urban vorsichtig.
    »Nun, Pater Sixtus genießt mein volles Vertrauen. Genügt das?«
    »Wie Ihr wünscht, Eure Eminenz. Euch ist ja bekannt, dass ich nicht nur Infirmarius, sondern auch Buchhalter unseres Klosters und seiner Einkünfte bin.«
    »Ja, ja. Ist mir alles bekannt. Also?«
    »Leider muss ich Euch mitteilen, dass ich kürzlich auf gewisse Ungereimtheiten gestoßen bin.«
    »Ungereimtheiten?« Der Erzbischof runzelte die Stirn.
    »Ja, wenngleich dieser Ausdruck viel zu beschönigend sein dürfte für das, was seit Jahren abläuft und so geschickt in den Bilanzen versteckt wurde, dass es sogar mir nicht weiter aufgefallen ist. Bis vor kurzem.«
    Der Erzbischof wechselte einen raschen, aber bedeutsamen Blick mit seinem Adlatus, dann fragte er: »Und das wäre? Ich warne euch, Bruder Urban, sollten sich Eure Entdeckungen nicht als wirklich schwerwiegend herausstellen, kann ich sehr nachtragend sein. Ich billige es nicht, wenn meine Zeit für törichtes Gewäsch verschwendet wird.«
    »2000 Morgen bestes Ackerland unter der Hand zu verkaufen und ein zweites Abrechnungsbuch zu führen, damit diese ungesetzmäßigen Verkäufe nicht in der offiziellen Buchführung auftauchen – das ist, mit Verlaub, kein törichtes Gewäsch, Eure
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