Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Autoren: Dryas Verlag
Vom Netzwerk:
fuhr Luke fort, „Kannst du dich erinnern, wie ich eines Abends, gerade als Atkinson das letzte Getreide in den ­Schober brachte, jemand mit nach Haus’ gebracht hab’?“ Mr ­Audley fuhr heftig zusammen. Und mit seltsamem, atemlosem Interesse, das er selbst kaum verstand, lauschte er dem, was Luke Marks zu sagen hatte. „Erinnerst du dich, wie ich an ’nem Abend im September nach zehn Uhr ’nen Gentleman mit heimgebracht hab’? Einen Gentleman, der bis auf die Haut nass und von Kopf bis Fuß voll mit Schmutz und Matsch, grünem Schlamm und schwarzem Dreck war, der den Arm gebrochen und ’ne schrecklich angeschwoll’ne Schulter hatt’ und so komisch aussah, dass ihn keiner erkannt hätt’. Ein Gentleman, dem die Kleider an manchen Stellen vom Leib geschnitten werden ­mussten, der beim Küchenfeuer saß und die Kohlen anstarrte, als ob er verrückt wär’, der nich’ mal wusste, wo oder wer er war. Wie ’n Baby musst’ man ihn versorgen, anziehen, ­abtrocknen, waschen und löffelweis’ mit Brandy füttern und den musst’ man ihm durch die zusammengepressten Zähne eintrichtern, bevor wieder ’was Leben in ihn ’reingebracht werden konnt’. Erinnerst du dich dran, Mutter?“
    Die Alte nickte und murmelte etwas davon, dass sie sich all dieser Dinge auf das Lebhafteste entsinne, nun, da Luke sie erwähne.
    Robert Audley stieß einen Schrei aus und fiel neben dem Bett des kranken Mannes auf die Knie. „Mein Gott!“, ­stammelte er. „Ich danke dir für deine wundersame Gnade, Herr. George Talboys lebt!“
    „Warten Sie ’nen Moment“, sagte Mr Marks, „Nich’ so schnell. Mutter, gib uns diese Zinndose da auf dem Regal über der Kommode runter, ja?“ Die alte Frau gehorchte und holte vom Regal eine schäbige Dose. Das Gesicht hinter den gefalteten Händen verborgen, kniete Robert Audley noch immer neben dem Bett. Luke Marks öffnete die Zinndose. „Da is’ kein Geld drin, jammerschade“, bemerkte er. „Aber da is’ was drin, was Sie vielleicht für genauso wertvoll halten wie Geld. Und das is’ es, was ich Ihnen geben will, als Beweis, dass auch’n betrunkener Kerl Ehre im Leib haben kann.“ Er nahm zwei gefaltete Zettel heraus und drückte sie Robert in die Hand. Es handelte sich um Seiten, die offensichtlich aus einem Notizbuch gerissen worden waren. Sie waren mit Bleistift beschrieben, und zwar in einer Handschrift, die Mr Audley vollkommen unbekannt war.
    „Ich kenne diese Handschrift nicht“, sagte Robert, ­während er gespannt den ersten Zettel auseinanderfaltete. „Was hat das hier mit meinem Freund zu tun? Warum ­zeigen Sie mir die Papiere?“
    „Wie wär’s, wenn Sie die erst mal lesen und mir dann Fragen stellen würd’n“, antwortete Mr Marks.
    Der erste Zettel, den Robert entfaltete, enthielt in verkrampften, fast gekritzelten Lettern geschriebene Zeilen. „Mein lieber Freund, ich schreibe dir in einer so völlig ­verwirrten Gemütsverfassung, wie sie vielleicht kein Mensch je zuvor erlebt hat. Ich kann dir nicht erklären, was mir zugestoßen ist. Ich kann dir nur sagen, dass etwas geschehen ist, was mich aus England vertreibt, um einen Flecken auf Erden zu suchen, an dem ich unbekannt und vergessen leben und sterben kann. Ich kann dich nur ­bitten, mich zu vergessen. Wäre dein Rat mir von Nutzen gewesen, so würde ich mich dir anvertraut haben. Aber weder Freundschaft noch Rat können mir helfen. G. T.“
    Der zweite Zettel war an jene andere Person gerichtet, die Robert mehr als alles andere in seinem Leben ­verachtete: „Helen, möge Gott Erbarmen mit dir haben und dir das, was du getan hast, so aufrichtig verzeihen, wie ich es tue. Lebe in Frieden. Du wirst niemals wieder von mir hören. Ich verlasse England, um nie wieder zurückzukehren. G. T.“
    In hilfloser Verwirrung starrte Robert Audley diese Zeilen an. Sie waren nicht in der vertrauten Handschrift seines Freundes abgefasst und gaben doch vor, von ihm geschrieben worden zu sein, zudem waren sie mit ­seinen Initialen unterzeichnet. Forschend blickte er in Luke Marks’ Gesicht und überlegte, ob man ihm vielleicht einen Streich gespielt habe.
    „Das wurde nicht von George Talboys geschrieben“, bemerkte er.
    „Oh, doch! Es wurde von ihm geschrieben“, erwiderte Luke Marks. „Jede einzelne Zeile. Er schrieb’s mit seiner eigenen Hand, aber’s war die linke, weil er nämlich die rechte wegen dem gebroch’nen Arm nich’ gebrauchen konnt’.“
    Robert Audley sah auf, und der Schatten des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher