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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Autoren: Heyne
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Schlag. »Du wagst es zu unterstellen …«
    Doch dann ließ er den Arm sinken und maß sie mit einem vernichtenden Blick. »Lauter Lügen sind das, aber ich mache mir die Hände nicht an einer Sünderin schmutzig. Kein Mann wird dieses Weib in ihrem demütigenden Zustand sehen. Ich lasse es nicht zu, und sicherlich wäre es auch nicht in ihrem Sinne!«
    »Nicht in ihrem Sinne?! Glauben Sie?« Die Augen der Hebamme sprühten vor Zorn. »Na, dann fragen Sie die Arme doch selbst, was sie wünscht.« Mit Schwung riss sie die Tür auf.
    Der Pastor wich entsetzt zurück und wandte schnell die Augen
von der Gebärenden ab, die sich in einer erneuten Wehe unter Schmerzensschreien krümmte. Die Hebamme griff mit einem bitteren Lachen nach ihrem Umhang.
    »Ich gehe ihn holen. Es geht um Leben und Tod, und jedes Wort mit Ihnen, Herr Pfaffe, ist verschwendete Zeit!«
    Ohne einen weiteren Protest des Geistlichen abzuwarten, stapfte sie wütend in die Sturmnacht hinaus.
     
    Eine knappe Stunde später erreichte die Hebamme aufatmend wieder die Kate. Der Sturm riss ihr die Tür fast aus der Hand. Es war nicht leicht gewesen, den Weg in diesem Unwetter und noch dazu bei Nacht zu bewältigen, aber sie hatte es geschafft.
    Der Geistliche saß immer noch mit gefalteten Händen am Feuer.
    »Der Doktor folgt mir auf dem Fuß«, verkündete sie und schüttelte erleichtert die Nässe von ihrem Umhang.
    »Ich werde nicht zulassen …«, hob der Prediger wieder an, als sich die Tür auch schon zum zweiten Mal öffnete.
    Der Mann, den die Inselbewohner nur »den Fremden« nannten, war klein und drahtig. Ein eisiger Blick aus scharfen Augen traf den Pastor und ließ ihn innehalten.
    »Wo ist sie?« Der Fremde nahm den Hut vom Kopf und warf ihn auf einen Stuhl.
    Für einen Atemzug schien es dem Geistlichen die Sprache verschlagen zu haben, doch dann betrachtete er sein Gegenüber abschätzig, sah den verschlissenen Mantel und die tiefen Furchen im Gesicht. Sein verächtlicher Blick kam auf den zitternden Händen zum Ruhen. Er schnupperte betont auffällig und rümpfte die Nase.
    »Es braucht keinen Mann für diese Sache, und einen Säufer schon gar nicht.«
    »Ich habe anderes gehört und nicht die Zeit, mit Ihnen zu streiten.« Der Arzt warf den Mantel ab, schob den Prediger
zur Seite und betrat mit dem schwarzen Koffer in der Hand die Schlafstube. Ein markerschütternder Schrei begrüßte ihn.
    »Die Schreie der Gebärenden erfreuen das Ohr des Herrn«, rief der Geistliche hinter ihm her. Die Hebamme schloss mit einem Knall die Tür.
    Der Arzt erfasste sofort die Lage. Er sah die erschöpfte Frau, den zuckenden Leib und die blutverschmierten Beine. Geburt und Tod, der ewige Kreislauf des Lebens, waren ihm nicht neu. Hastig krempelte er die Ärmel seines Hemdes auf und hockte sich zwischen die Beine der Leidenden. Behutsam tasteten seine Finger nach dem Ungeborenen.
    »Sie haben Recht, das Kind hat Steißlage.«
    Er nahm das Nicken der Hebamme nicht wahr, spürte nur die Todesangst und die Todesnähe der Gebärenden. Rasch öffnete er seinen Koffer und entnahm ihm einige Instrumente. Vom Keuchen der Schwangeren begleitet begann er zu arbeiten. Seine Besorgnis wuchs mit jeder Bewegung. Das Kind würde sich nicht leicht drehen lassen, doch er musste es versuchen. Schweiß trat ihm auf die blasse Stirn. Mit zitternden Händen griff er nach der Flasche, die auf dem Boden stand, und nahm einen langen Zug. Seine Glieder beruhigten sich, und er wandte sich wieder dem verzweifelten Kampf zu. Der Frau schien fast die Kraft zum Atmen zu fehlen. Der Schrei, den sie bei der nächsten Wehe ausstieß, klang kaum mehr wie der eines Menschen. Dann verlor sie das Bewusstsein. Ihr Körper entspannte sich und mit einer schnellen Bewegung glitt der Arm des Arztes in den Geburtskanal. Es gelang ihm, das Ungeborene zu drehen und vorsichtig ans Licht der Welt zu bringen. Blutverschmiert lag es zwischen den Beinen seiner Mutter. Dem Arzt entfuhr ein erleichterter Seufzer, als er es hochnahm. Seine Aufmerksamkeit war nun ganz bei dem kleinen Wesen. Das Kind schrie nicht und bewegte sich kaum. Fasziniert starrte der Arzt auf das dichte rotbraune Haar.

    »Es ist ein Junge«, verkündete er.
    Vorsichtig durchtrennte die Hebamme die Nabelschnur. Sie wickelte das Kind in Leinentücher und legte es dem Arzt wieder in die Arme.
    Ein gurgelnder Laut ließ beide herumfahren. Der Arzt stand auf, umrundete das provisorische Lager und kniete sich neben dem Kopf der Mutter auf
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