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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Autoren: Heyne
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hier für ein Geschrei?«, fragte er. »Hat vielleicht der junge Herr höchstpersönlich sein Erscheinen in der Küche angekündigt?« Sein wissender Blick flog zwischen den beiden Küchenmädchen hin und her, die verlegen kicherten.
    »Nein.« Luise schob ihm die Zeitung unter die Nase. »Die kleine Frieda wollte uns verlassen und sich bewerben. Aber es fehlt ihr an gutem Aussehen und schönen Künsten.«
    Der Knecht las und pfiff dann durch die Zähne. »Das klingt ja nach einer tollen Sache. Aber keins von euch Mädchen würde doch auf einen solchen Schwindel hereinfallen, oder? Der Inserent muss verrückt sein!«
    »Entweder das, oder er ist reich und bildet sich ein, auch Wesen von Fleisch und Blut kaufen zu können«, kommentierte Luise trocken. Sie goss sich eine zweite Tasse Tee ein.
    »Wer weiß?« Der Knecht strich reichlich Butter auf sein Brot. »Auf den Inseln treiben die Reichen neuerdings die unglaublichsten Sachen. Wer sich mit Karren zum Baden ins Meer fahren lässt, dem trau ich es auch zu, sich auf diesem Weg eine Gespielin zu suchen.«
    »Ich hab gehört, die Badeweiber dort müssen sich so schinden,
dass im letzten Herbst zwei von ihnen gestorben sind«, sagte Frieda und rieb sich die brennenden Augen.
    Das zweite Küchenmädchen schüttelte nur den Kopf. »Ob da was dran ist, weiß ich nicht. Aber die Insulaner sind anders als wir. Ein komisches Volk. Sie haben ihre eigenen Gesetze und akzeptieren nur den, der auf der Insel geboren ist. Und«, sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, »sie sind furchtbar abergläubisch. Meine Cousine Jeske hat im letzten Sommer als Serviermädchen gearbeitet. Sie brachte wirre Geschichten von Wangerooge mit nach Hause. Trotz guter Bezahlung verweigert sie in diesem Jahr die Anstellung dort. Es soll einen Hexenmeister auf der Insel geben, der des Nachts mit den Fledermäusen um die Wette fliegt, und einen Mann namens Freerkohm, der mit den Ertrunkenen, den Drinkeldoden, Verbindung aufnehmen kann. Jeske erzählte die schauderlichsten Sachen. Sie war im Haus des Seemanns Hinderk Tjarks untergebracht. Und stellt euch vor, als dessen irrsinnige Schwester noch lebte, soll er sie an einer Kette gehalten haben. Man erzählt, sie sei in ihrer Jugend von einem der Soldaten Napoleons verführt und deshalb von den Insulanern ausgestoßen worden. Vor Verzweiflung habe sie dann den Verstand verloren. In lichten Momenten soll sie mit wunderschöner Stimme gesungen haben. Ich für meinen Teil«, sie tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Brust, »würde für kein Geld der Welt einen Fuß auf die Insel setzen.«
    Luise räusperte sich missbilligend. »Nun hör aber auf mit diesen Spukgeschichten. Genug Mädchen arbeiten Sommer für Sommer auf den Inseln und kommen im Herbst heil wieder nach Hause. Aber das hier«, sagte sie und zog die Zeitung wieder zu sich heran, »das hier ist was anderes. Dafür wird sich kein vernünftiger Mensch hergeben. Wer wäre schon so dumm, sich seine Freiheit stehlen zu lassen?«
    »Es gibt genug Frauen, die sich für Geld noch ganz andere
Sachen stehlen lassen«, antwortete die Wäscherin leichthin. »Für die klingt das doch nach dem Schlaraffenland.«
    »Aber solche Mädchen haben selten einen guten Leumund«, kam es trocken vom Knecht.
    Er wies mit dem Finger auf Wemke, die schweigend am Ende des Tisches saß. »Unser zartes Goldlöckchen da hinten, die hätte keine üblen Aussichten, diese Stellung zu bekommen.«
    Wemke jedoch war ganz in ihren eigenen Gedanken versunken und hatte der aufgeregten Unterhaltung um sich herum keine Beachtung geschenkt. Heute Morgen war die alte Frau Hinrichs mit entschuldigendem Blick auf sie zugekommen. »Es geht nicht anders«, hatte sie gemurmelt. »Wir schaffen es kaum, uns selbst zu tragen. Wenn wir die Unterbringung der Kinder nicht etwas verteuern, müssen wir Ende des Jahres schließen.«
    Die letzten Stunden war in Wemkes Kopf nur Raum für die Frage gewesen, wie sie die erhöhten Kosten in Zukunft aufbringen sollte. Bislang war ihr gerade genug zum Leben geblieben. Das meiste ging für die Tagesunterbringung ihrer Schwester Freya und die Miete für die winzige Dachkammer drauf. Manchmal spotteten die anderen Dienstboten über den Gegensatz zwischen Wemkes gesegnetem Appetit und ihrem zerbrechlichen Aussehen. Dass sie außerhalb des Hauses kaum etwas aß, brauchten sie nicht zu wissen. Wemke seufzte. Vielleicht würde Freya die kleine Süßigkeit, die sie ihr stets mitbrachte, nicht vermissen. Dabei
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