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Das fünfte Kind. Roman

Das fünfte Kind. Roman

Titel: Das fünfte Kind. Roman
Autoren: Doris Lessing
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seine Wohnung, zu der es nicht weit war. Dort lagen sie auf seinem Bett, hielten Händchen und sprachen weiter, und manchmal küssten sie sich, und dann schliefen sie. Harriet zog fast unmittelbar danach in Davids Wohnung, denn sie selbst hatte sich nur ein Zimmer in einem großen Gemeinschaftsquartier leisten können. Ihre Heirat im Frühling war beschlossene Sache. Worauf sollten sie noch warten? Sie waren füreinander bestimmt.
    Harriet war die älteste von drei Schwestern. Erst als sie mit achtzehn von zu Hause wegging, erkannte sie, wie viel sie ihrer Kindheit verdankte, denn viele ihrer Bekannten hatten geschiedene Eltern, führten ein ungeregeltes und leichtfertiges Leben und neigten, wie man so sagt, zu seelischen Störungen. Harriet war nicht gestört und hatte schon immer gewusst, was sie wollte. Sie kam recht gut durch die Schule und ging dann auf eine Kunstakademie, um Grafikerin zu werden, was eine angenehme Art schien, die Zeit herumzubringen, bis sie heiratete. Die Frage »Sein oder Nichtsein«, nämlich eine Karrierefrau, hatte sie nie bekümmert, obwohl sie bereit war, darüber mitzudiskutieren. Sie wollte den anderen nicht exzentrischer erscheinen als unbedingt nötig. Ihre Mutter war eine zufriedene Frau, die alles hatte, was sie vernünftigerweise verlangen konnte, wenigstens kam es ihr und den Töchtern so vor. Harriets Eltern hatten es immer für unumstößlich gehalten, dass das Familienleben die einzige Grundlage wahren Glückes war.
    Mit Davids Herkunft war es eine ganz andere Sache. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er sieben war. Er witzelte, viel zu oft, darüber, dass er zwei Paar Eltern hatte. Er war eines der Kinder mit einem Zimmer in zwei Elternhäusern gewesen, und jeder um ihn herum hatte sich mit den damit verbundenen psychologischen Problemen befasst.
    Es hatte zwar keinen Zank und keine Gehässigkeit gegeben, aber ein beträchtliches Maß an Ungemütlichkeit, sogar Trübsal – das heißt für die Kinder. Der zweite Mann seiner Mutter war Akademiker, Historiker, und die beiden wohnten in einem großen schäbigen Haus in Oxford. David hatte diesen Professor Frederick Burke gern, weil er gütig, wenn auch zerstreut war, ganz wie seine Mutter Molly. David hatte sein Zimmer bei den beiden immer als sein wirkliches Zuhause angesehen, und das war es in seiner Vorstellung auch heute noch, obgleich er mit Harriet nun bald ein neues Heim schaffen würde, eine Erweiterung und Ergänzung des alten. Im hinteren Teil des Oxforder Hauses hatte er ein großes Schlafzimmer, von dem man in einen verwilderten Garten blickte. Das Zimmer war so schäbig wie das übrige Haus, noch voll von seinen Jungenssachen und auf englische Art ziemlich frostig. Davids leiblicher Vater, James Lovatt, hatte in zweiter Ehe eine Frau geheiratet, die seiner eigenen Art entsprach, eine laute, freundliche und tüchtige Person mit dem gut gelaunten Zynismus der Reichen. James Lovatt war Schiffbauer, und wenn David einer seiner Einladungen folgte, konnte es leicht passieren, dass sein Platz eine Koje auf einer Jacht war oder ein Zimmer (»Das ist dein Zimmer, David!«) in einer Villa in Südfrankreich oder auf den Bahamas. Doch er bevorzugte seine alte Bude in Oxford. So war er mit einem brennenden, heimlichen Wunsch für die Zukunft aufgewachsen: Seine eigenen Kinder sollten es einmal ganz anders haben! Er wusste, was er wollte und was für eine Frau er brauchte.
    Harriet hatte sich ihre Zukunft nach altem Brauch ausgemalt: Ein Mann würde ihr die Schlüssel eines gemeinsamen häuslichen Reichs übergeben, und sie würde dort alles finden, was ihrer Natur gemäß war. Sie hatte dies, erst unbewusst, dann sehr entschieden, als ihr Geburtsrecht betrachtet und war diesem Ziel zugestrebt, ohne sich auf Irrungen und Wirrungen einzulassen. Und auch David sah seine Zukunft als ein Ziel, nach dem es zu streben und das es zu schützen galt. Seine Frau musste ihm darin gleichen und wissen, wo das Glück lag und wie man es sich erhielt. Er war dreißig, als er Harriet kennenlernte, und hatte bis dahin mit der verbissenen Selbstdisziplin eines ehrgeizigen Menschen gearbeitet – aber das, wofür er arbeitete, war ein eigenes Heim.
    Unmöglich, in London ein Haus zu finden, wie sie es brauchten und für ihr künftiges Leben wünschten. Überhaupt waren sie gar nicht so sicher, dass London der richtige Ort für sie war. Nein, er war es nicht, lieber eine kleinere Stadt in der Umgebung, mit einem eigenen Flair. Sie
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