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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition)
Autoren: Rainer Wekwerth
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mit sich zog, brüllte er kampfbereit auf.
    Er würde Karem finden und seine Seele zurückführen.
     
     

19.
     
    Drei Monate später schlich eine schlanke Gestalt schattengleich durch die Gänge des königlichen Schlosses und suchte nach der Tür, zu der Heidars Schlüssel passte.
    Immer wieder presste sich der Eindringling an die Wand und verharrte regungslos, wenn einer der patrouillierenden Wächter näherkam.
    Man hatte den Attentäter ausgewählt, weil er seine gesamte Kindheit im Schloss verbracht hatte und nahezu jeden Winkel innerhalb des Gemäuers kannte.
    Fürst Ronder hatte Einspruch erhoben und gefordert, dass ein ausgebildeter Assassine diese Aufgabe übernehmen sollte, aber die Person war nicht von ihrem Vorhaben abzubringen gewesen. Schließlich hatte Ronder sich dem Starrsinn gebeugt und seine Zustimmung gegeben.
    Es war dem Attentäter leicht gefallen, ins Schloss zu gelangen, noch immer besaß er viele Freunde hier, und König Canai hatte auch am Hof genug Feinde, die jeden unterstützten, der gegen ihn war.
    Nachdem der Gang eine letzte Biegung genommen hatte, stand der Eindringling vor einer unscheinbaren, verschlossenen Holztür. Er schob den Schlüssel ins Schloss und mit einem leisen Knarren schwang die Tür nach innen. Vollkommene Finsternis empfing ihn.
    Vor beinahe zwanzig Jahren war Heidar auf Canais Befehl hin durch diesen staubverdreckten Gang in das Zimmer Asthaels gekrochen und hatte dem schlafenden König den Dolch in die Brust gerammt. Heute nun schlich eine andere Person gebückt voran und auch sie trug einen spitzen Dolch.
    Mit vorgestreckten Händen ertastete der Attentäter das Ende des Ganges. Seine Finger fanden den kleinen Hebel, der den Mechanismus geräuschlos auslöste. Die Wand schwang zurück und die Gestalt huschte ins Zimmer.
    Das bleiche Licht des Mondes fiel durch die bleigefassten Fenster und schuf helle und dunkle Stellen innerhalb des Raumes.
    Der König lag in seinem Bett und schlief. Der Körper zeichnete sich deutlich unter dem Laken ab. Der Dolch wurde gehoben und mit Wucht in Canais Rücken gestoßen.
    Es war ein glücklicher Stoß, denn die Klinge verfehlte die Wirbelsäule und drang direkt ins Herz. Mit einem ächzenden Laut verstarb der Herrscher, ohne noch einmal zu erwachen.
    Sara zog das Messer heraus und blickte auf den Mann herab, der die Schuld an dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders getragen hatte. Der Dolch fiel aus ihren zitternden Händen auf die Bettdecke. Trotz des Blutes konnte man die eingeritzten Runen erkennen, die das Wort Larin bildeten, dass thuuranische Wort für das Schicksalslicht, das zwischen dem Dunkel der Nacht und der Helligkeit des Tages herrscht, und das von den Göttern selbst gesandt wurde, um die Menschen zu richten.
     
     

Epilog
     
    Lelina saß mit dem Rücken zum Fenster in einem hohen Lehnstuhl und betrachtete fürsorglich den schlafenden Säugling. Noch immer trug sie das Kleid der Wöchnerin, und sie begann, langsam Gefallen an dem weiten Schnitt zu finden.
    Von draußen fielen die Strahlen der Mittagssonne herein und erwärmten den kühlen Raum. Als die Sonnenstrahlen die Wiege mit dem Kind erreichten, begann der Knabe im Halbschlaf nach dem Licht zu greifen, so als habe es Form und Substanz.
    Auf Lelinas Gesicht erschien ein Lächeln.
    Hinter ihr öffnete sich die Tür des kleinen Hauses und der Schatten ihres Vaters fiel auf die groben Holzdielen. Er brachte den Duft des kommenden Frühlings mit sich, der bald die letzten Schneereste schmelzen würde.
    Eine merkwürdige Stille lag plötzlich im Raum. Lelina wandte sich um. Ihr Vater wirkte verwirrt und blickte zu Boden. Seine großen Hände kneteten die Finger in einer nervösen Geste.
    »Was ist denn?«, fragte Lelina.
    »Draußen ist jemand, der zu dir möchte.«
    Mit einem Satz sprang Lelina aus dem Stuhl und wollte hinausstürmen, aber ihr Vater versperrte ihr den Weg. Überrascht sah sie an. Er fasste ihre Schultern und flüsterte eindringlich: »Es ist nicht Karem!«
    Enttäuschung machte sich in ihr breit. Ihre lang genährte Hoffnung verflog.
    »Wer ist es?«
    »Eine junge, vornehme Frau wünscht, dich zu sprechen. Sie sagt, sie sei Karems Schwester!«
    »Karems Schwester ist tot!«
    Ein weiterer Schatten fiel auf den Holzboden, und eine weibliche Stimme sagte: »Nein, sie ist nicht tot!«
    Sara betrat den Raum. Vor Lelina blieb sie stehen. Ihre Augen musterten die Frau, die Karem so geliebt hatte. Nun verstand sie ihn. Die junge Frau musste in ihrem
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