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Das Flüstern der Toten (German Edition)

Das Flüstern der Toten (German Edition)

Titel: Das Flüstern der Toten (German Edition)
Autoren: Darynda Jones
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war säuberlich gebürstet, und er roch nach einem Rasierwasser mittlerer Preislage. Er kniff mir ins Kinn und hielt mein Gesicht so, dass er sich die blauen Flecke ansehen konnte.
    »Eigentlich mehr halb sechs«, widersprach ich ihm.
    »Ich habe dich vor über einer Stunde angerufen. Und an deiner Deckung musst du auch noch arbeiten.«
    »Du hast um vier Uhr vierunddreißig angerufen«, entgegnete ich und schob seine Hand weg. »Ich hasse vier Uhr vierunddreißig. Ich finde, vier Uhr vierunddreißig sollte gestrichen und durch irgendwas Vernünftigeres ersetzt werden, zum Beispiel durch neun Uhr zwölf.«
    Onkel Bob gab ein umfangreiches Schnaufen von sich und ließ das Gummiband an seinem Handgelenk schnalzen. Er hatte mir mal erklärt, dass er damit gegen seine Wutanfälle ankämpfte, doch wie man sein Temperament beherrschen sollte, indem man sich absichtlich Schmerzen zufügte, war mir nicht klar. Trotzdem war ich allzeit bereit, einem genervten Verwandten in Not beizustehen.
    Ich beugte mich zu ihm vor. »Wenn du meinst, dass dir das was bringt, könnte ich dir eine mit dem Elektroschocker verpassen.«
    Wieder der böse Blick, diesmal jedoch mit einem Grinsen garniert, das mich froh stimmte.
    Die Leute von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit offenbar bereits getan, sodass wir den Tatort betreten durften. Ich schenkte den verstohlenen Blicken, die in meine Richtung geworfen wurden, keine Beachtung. Die anderen Polizeibeamten hatten nie kapiert, wie ich tat, was ich tat, und wie ich so schnell ihre Fälle löste, also beobachteten sie mich mit wachsamem Misstrauen. Aber das kann ich ihnen wohl nicht verübeln. Moment mal, und ob ich das kann!
    In dem Moment entdeckte ich Garrett Swopes, auch bekannt als Arschloch von Vermisstenfahnder, der sich gerade über die Leiche beugte. Ich verdrehte die Augen so weit, dass ich beinahe in Ohnmacht fiel. Nicht, dass Garrett seine Arbeit schlecht machte. Schließlich hatte er bei dem legendären Frank M. Ahearn gelernt, der wahrscheinlich der berühmteste Vermisstenfahnder der Welt war. Nach allem, was ich gehört hatte, hätte Garrett dank Mr Ahearn sogar Hoffa finden können, wenn er es drauf angelegt hätte.
    Und ein Augenschmeichler war er auch. Er hatte kurzes schwarzes Haar, breite Schultern, schokoladenbraune Haut und rauchgraue Augen, die eine Frau, wenn sie nur lange genug hineinsah, um ihr Seelenheil bringen konnten.
    Gott sei Dank hatte ich die Aufmerksamkeitsspanne einer Schnake.
    Nach meinem unmaßgeblichen Eindruck war er nur halb Afroamerikaner. Die hellere Haut und die grauen Augen verrieten den Mischling. Ich wusste bloß nicht, ob die andere Hälfte latein- oder angloamerikanisch war. Auf jeden Fall schritt er selbstsicher einher, lächelte lässig und zog ständig die Blicke auf sich. An seinem Aussehen musste er also definitiv nicht arbeiten.
    Nein, Garrett war aus anderen Gründen eine vollendete Nervensäge. Als ich ins Licht trat, betrachtete er die Blutergüsse an meinem Kinn und grinste dreckig. »Verabredung mit ’nem Unbekannten?«
    Ich tat, was man tut, wenn man sich an der Stirn kratzt und jemandem gleichzeitig den Stinkefinger zeigt. Ich bin multitaskingfähig. Garrett grinste bloß.
    Schön, er konnte ja nichts dafür, dass er so ein Arsch war. Er hatte mich ganz gut leiden können, bis Onkel Bob ihm im Vollsuff unser kleines Geheimnis verraten hatte. Natürlich glaubte er kein einziges Wort davon. Wer würde das schon? Das war jetzt ungefähr einen Monat her, unsere Freundschaft hatte seitdem einen Kopfsprung von kaum vorhanden bis nicht existent vollführt. Offenbar hätte er mich am liebsten in die Klapse eingewiesen. Und Onkel Bob gleich dazu, weil er allen Ernstes glaubte, dass ich Verstorbene sah. Manche Leute haben eben keine Fantasie.
    »Was machen Sie denn hier, Swopes?«, wollte ich wissen, mehr als verärgert, weil ich mich mit ihm abgeben musste.
    »Ich dachte, er hier könnte einer von meinen Vermissten sein.«
    »Und? Ist er?«
    »Bloß wenn Drogensüchtige neuerdings dreiteilige Anzüge und Fünfzehnhundert-Dollar-Schuhe tragen.«
    »Zu dumm. Ich wette, Sie können sich Ihre Vergütung leichter verdienen, wenn der Vermisste hinüber ist.«
    Garrett deutete achselzuckend an, dass er mir zustimmte.
    »Eigentlich hab ich ihn hergebeten«, warf Onkel Bob ein, »weißt du, vier Augen sehen mehr als zwei.«
    Dabei gab ich mir alle Mühe, keinen Blick auf die Leiche zu werfen – mit Toten kam ich klar, mit Leichen weniger – , doch
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