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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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dunkelgraue Hose. Je dunkler die Kleidung, desto blasser wirkte ihrer Meinung nach seine Haut. Die Strickjacke hatte er bisher zwar nur einmal angezogen, aber glücklicherweise handelte es sich um ein Geburtstagsgeschenk von Blair. Den Pullover hatte er noch kein einziges Mal getragen, und weder er noch Nora konnten sich daran erinnern, woher er stammte.
    Luther kam sich vor wie ein Mafioso.
    »Gib es doch einfach auf«, sagte er, während sie hektisch mit Töpfchen und Tiegeln hantierte und kurz davor schien, ihm alles an den Kopf zu schleudern.
    »Du hast leicht reden«, schnappte sie. »Blair darf niemals von dieser Kreuzfahrt erfahren, hast du mich verstanden, Luther?«
    »Dann erzähl ihr eben nichts von der Kreuzfahrt. Sag ihr, dein Arzt hätte dir den regelmäßigen Solariumbesuch empfohlen, damit du genug von diesem, äh… welches Vitamin ist das noch gleich?«
    »Vitamin D, aber das funktioniert nur mit echtem Sonnenlicht, nicht auf der Sonnenbank. Noch eine deiner dummen Ideen, Luther.«
    »Dann sag ihr, wir hätten für die Jahreszeit ungewöhnlich mildes Wetter gehabt und viel im Garten gearbeitet.«
    »Damit könntest nur du dich herausreden, und es würde sowieso nicht klappen. Blair ist schließlich nicht blind. Sie wird einen Blick auf deine Blumenbeete werfen und sehen, dass du seit Monaten nichts mehr daran getan hast.«
    »Autsch.«
    »Irgendwelche anderen schlauen Vorschläge?«
    »Wir wollten schon mal den Frühling einläuten und haben eine günstige Dauerkarte fürs Solarium gekauft.«
    »Sehr witzig.«
    Eingeschnappt fegte Nora an Luther vorbei und zog eine Spur von Puder hinter sich her. Als Luther an seiner Krücke den Flur entlanghumpelte, auf das Gedränge in seinem Wohnzimmer zu, hörte er auf einmal jemanden brüllen: »Da kommen sie!«
    Ralph Brixley hockte in Schneetreiben und Kälte hinter dem Schornstein auf Luther Kranks Dach und musste seinen Frosty an Ort und Stelle halten, weil der Segeltuchriemen gerissen war. Als er am anderen Ende der Straße Spikes Signallampe aufleuchten sah, schrie er »Da kommen sie!« zu Kranks Terrasse hinunter, wo sein Helfer Judd Bellington gerade versuchte, den Riemen zu flicken.
    Aus luftiger Höhe beobachtete Ralph mit einem gewissen Maß an Stolz (und einem gewissen Maß an Frustration, weil es dort oben immer kälter wurde), wie alle Nachbarn an einem Strang zogen, um einem der ihren zu helfen — auch wenn es sich dabei um Luther Krank handelte.
    Unter der zitterigen Führung von Mrs. Ellen Mulholland hatte sich ein großer Chor neben der Auffahrt versammelt und »Jingle Bells« angestimmt. Linda Galdy besaß einen Satz Glocken, den ihr eilig zusammengestelltes Ensemble nun im Takt mit dem Chor zu läuten begann. Auf dem vorderen Rasen drängten sich die Nachbarskinder und warteten gespannt auf Blair und ihren geheimnisvollen Verlobten.
    Als sich die Polizeiwagen langsam dem Haus der Kranks näherten, brachen die Kinder in lautes Jubelgeschrei aus.
    »Meine Güte, was für ein Auflauf«, sagte Blair.
    Vor dem Haus der Beckers parkte ein Feuerwehrwagen, vor dem der Trogdons ein hellgrüner Krankenwagen, und genau aufs Stichwort wurden sämtliche Blaulichter eingeschaltet, um Blair willkommen zu heißen. Sobald die Polizeiautos in der Auffahrt zum Stehen kamen, riss Vic Frohmeyer höchstpersönlich die Vordertür auf und rief mit dröhnender Stimme: »Fröhliche Weihnachten, Blair!«
    Das Paar stieg aus und wurde von Dutzenden Nachbarn umringt, während der Chor sich die Seele aus dem Leib sang. Blair stellte Enrique vor, der sich über diesen Empfang ein wenig zu wundern schien. Dann bahnten sie sich einen Weg zur Haustür und in das Wohnzimmer, wo weitere Hurrarufe ertönten. Auf Noras Bitte hin hatten vier Feuerwehrmänner und drei Polizisten Schulter an Schulter vor dem Weihnachtsbaum Aufstellung genommen, damit Blair so wenig wie möglich von ihm sah.
    Indessen warteten Luther und Nora in ihrem Schlafzimmer nervös auf die private Wiedervereinigung mit ihrer Tochter und das erste Treffen mit Enrique.
    »Und wenn er uns nicht gefällt?«, murmelte Luther, der auf der Bettkante saß und seine Knöchel rieb. Der Geräuschentwicklung nach zu urteilen schien die Party unten im Wohnzimmer langsam auf Touren zu kommen.
    »Sei still, Luther. Unsere Tochter ist ein kluges Mädchen«, entgegnete Nora und bestäubte ihre Wangen mit einer letzten Schicht Puder.
    »Aber sie haben sich doch gerade erst kennen gelernt.«
    »Liebe auf den ersten
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