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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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eine Leiter!«
    »Hat er da etwa ein Stromkabel um die Füße?«, fragte ein anderer.
    »Woran ist das Seil denn befestigt?«, wollte ein dritter wissen. Die Stimmen kamen Luther alle bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen.
    »Ich habe neun-eins-eins angerufen«, hörte er Walt Scheel sagen.
    »Danke, Walt«, rief Luther laut in Richtung der Menschenmenge. Doch da drehte er sich bereits wieder auf das Haus zu.
    »Ich glaube, Frosty ist hinüber«, murmelte ein Teenager.
    Während Luther dort hing und auf den Tod wartete, darauf, dass das Seil nachgab, sich dann völlig löste und ihn auf den Boden krachen ließ, durchströmte ihn der Hass auf Weihnachten mit neuer Leidenschaft. Weihnachten hatte ihn in diese Lage gebracht.
    Weihnachten war an allem schuld.
    Und er hasste auch seine Nachbarn, sie alle, ob alt oder jung. Sie scharten sich mittlerweile zu Dutzenden in seiner Auffahrt, er konnte sie herbeilaufen hören, und während er sich langsam um sich selbst drehte, sah er, wie immer mehr Leute die Straße entlangrannten, um diesen Anblick nur ja nicht zu verpassen.
    Irgendwo über ihm knackte es, dann gaben Seil und Kabel nach, und Luther sackte weitere fünfzehn Zentimeter ab, bevor sein Fall erneut ruckartig gestoppt wurde. Die Menge schnappte nach Luft.
    Zweifellos wären einige der Zuschauer gern in Beifallsrufe ausgebrochen.
    Frohmeyer blaffte Befehle, als hätte er es jeden Tag mit derartigen Situationen zu tun. Zwei Leitern wurden herbeigeschleppt und rechts und links von Luther platziert. Ned Becker schrie von der Terrasse herüber, dass er herausgefunden habe, woran das Kabel und das Nylonseil festhingen, allerdings würden sie seiner Expertenmeinung nach nicht mehr lange halten.
    »Hast du das Verlängerungskabel in eine Steckdose gesteckt?«, fragte Frohmeyer.
    »Nein«, erwiderte Luther.
    »Wir werden dich da runterholen, okay?«
    »Ja bitte.«
    Frohmeyer kletterte die eine Leiter hoch, Ned Becker die andere. Luther wurde sich bewusst, dass Swade Kerr unter ihm stand, ebenso Ralph Brixley und John Galdy und einige der älteren Burschen der Straße.
    Mein Leben liegt in ihren Händen, sagte Luther zu sich selbst und schloss die Augen. Abzüglich der elf Pfund, die er sich für die Kreuzfahrt weggehungert hatte, wog er knapp neunundsiebzig Kilo. Er fragte sich beunruhigt, wie seine Nachbarn ihn eigentlich entwirren und dann auf den Boden hinunterlassen wollten. Seine Retter waren Männer mittleren Alters, die höchstens noch auf dem Golfplatz ins Schwitzen kamen. Auf jeden Fall betrieben sie kein Power-lifting. Swade Kerr war ein schmächtiger Vegetarier, der es gerade eben schaffte, morgens seine Zeitung aufzuheben — nichtsdestotrotz war er offenbar der Meinung, Luther helfen zu können.
    »Wie wollt ihr es anstellen, Vic?«, fragte Luther. In seiner Position, mit den Füßen kerzengrade nach oben, fiel ihm das Sprechen nicht gerade leicht. Durch die Schwerkraft staute sich das Blut in seinem Kopf und ließ ihn heftig pochen.
    Vic zögerte. Eigentlich hatten sie keinen Plan.
    Luther konnte die Gruppe von Männern nicht sehen, die direkt unter ihm stand, um ihn bei einem eventuellen Sturz aufzufangen.
    Er hörte jedoch zwei Dinge. Zuerst rief jemand: »Da kommt Nora!«
    Und dann erklangen Sirenen.
18
    D ie Menschenmenge teilte sich, um den Krankenwagen durchzulassen. Er blieb drei Meter vor den Leitern, vor dem Mann, der kopfüber vom Dach hing, und vor seinen Möchtegernrettern stehen. Zwei Sanitäter und ein Feuerwehrmann sprangen heraus, stellten die Leitern beiseite, scheuchten Frohmeyer und seine Kohorten aus dem Weg, dann fuhr einer von ihnen den Wagen vorsichtig unter Mr. Krank.
    »Luther, was machst du da oben?«, schrie Nora, während sie sich durch das Gedränge kämpfte.
    »Wonach sieht es denn aus?«, schrie er zurück, woraufhin das Pochen in seinem Kopf noch heftiger wurde.
    »Geht es dir gut?«
    »Fantastisch!«
    Die Sanitäter und der Feuerwehrmann kletterten auf die Motorhaube des Krankenwagens, hoben Luther rasch einige Zentimeter an, befreiten ihn von Seil und Kabel und ließen ihn dann langsam hinunter. Einige wenige Leute klatschten, die meisten wirkten jedoch eher gleichgültig.
    Nachdem die Sanitäter Luthers Puls und Blutdruck überprüft hatten, trugen sie ihn zum Heck des Wagens. Seine Füße waren vollkommen empfindungslos, so dass er nicht allem stehen konnte. Außerdem zitterte er am ganzen Körper, also legte einer der Sanitäter ihm zwei orangefarbene Decken um.
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