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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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o nein, mein Herr. Luther würde qualvoll sterben, und falls nicht, so doch mindestens eine Querschnittslähmung oder Hirnschädigung davontragen.
    Wie abgrundtief albern, dass ein Mann von vierundfünfzig Jahren noch derartige Spielchen mitmachen musste.
    Das gefährlichste Kunststück bestand darin, vom Dach aus wieder auf die Leiter zu gelangen. Luther schaffte dies, indem er seine Fingernägel zwischen die Schindeln grub und erst den einen, dann den anderen Fuß über die Dachrinne schwang. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, holte er tief Luft und beglückwünschte sich dazu , dass er den ersten Trip aufs Dach und zurück überlebt hatte.
    Frosty bestand aus vier Teilen — dem breiten, runden Sockel, einer dicken Kugel als Unterkörper, dem Oberkörper mit den beiden Armen, von denen einer winkte und der andere in die Hüfte gestemmt war, und dem Kopf mit schwarzem Zylinder und einer Pfeife im grinsenden Mund. Murrend baute Luther das verdammte Ding zusammen, indem er die Plastikteile ineinander steckte. Er schraubte die Glühbirne in Frostys Eingeweide, schloss das fünfundzwanzig Meter lange Verlängerungskabel an, band dem Schneemann das Nylonseil um die Mitte und brachte ihn in Stellung für die Reise auf das Dach.
    Es war Viertel vor fünf. Seine Tochter und ihr Verlobter würden in einer Stunde und fünfzehn Minuten landen. Die Fahrt zum Flughafen dauerte zwanzig Minuten, und dann musste man noch den Wagen abstellen, den Shuttlebus nehmen, laufen, schubsen, drängeln.
    Luther hätte am liebsten aufgegeben und angefangen zu trinken.
    Aber er zog an seinem Ende des Seils, bis es straff um den Schornstein verlief und Frosty vom Boden abhob. Luther kletterte neben ihm die Leiter empor und bugsierte ihn über die Dachrinne und auf die Schindeln. Luther zerrte, Frosty bewegte sich ein paar Zentimeter. Die vierzig Pfund Hartplastik fühlten sich schon bald sehr viel schwerer an. Langsam legten sie den Weg zum Schornstein zurück, Seite an Seite, wobei Luther auf allen vieren kroch und der Schneemann auf dem Rücken schleifte.
    Die Spur von Dämmerung am Himmel war keine wirkliche Hilfe. Sobald Luther samt Frosty den Dachfirst erreichte, würden sie sämtlichen Blicken ausgesetzt sein. Luther würde aufrecht stehen müssen, während er sich mit dem Schneemann herumschlug, ihn an der Vorderseite des Schornsteins befestigte, und wenn der alte Frosty sich erst einmal an seinem Platz befand, wenn die Zweihundert-Watt-Birne leuchtete und er seinen einundvierzig Kameraden zuwinkte, würde die ganze Hemlock Street wissen, dass Luther kapituliert hatte. Also ruhte er sich direkt unterhalb des Firstes noch für einen Augenblick aus und versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass ihm egal war, was seine Nachbarn dachten oder sagten. Er hielt das Seil fest umklammert, lehnte sich mit dem Rücken ans Dach, betrachtete die Wolken und stellte fest, dass er gleichzeitig schwitzte und fror. Seine Nachbarn. sie würden hinter vorgehaltener Hand kichern oder ihn offen auslachen und noch jahrelang die Geschichte von Luther Kranks Weihnachtsverweigerung erzählen. Er würde zum Gespött der Stadt werden, aber was machte das schon?
    Blair würde glücklich sein. Enrique würde ein richtiges amerikanisches Weihnachtsfest erleben. Und damit wäre Nora hoffentlich besänftigt.
    Dann dachte Luther daran, dass die Island Princess am nächsten Tag mit zwei Passagieren weniger an Bord von der Pier in Miami ablegen und Kurs auf die Strände und Inseln nehmen würde, nach denen er sich im Augenblick so sehr sehnte.
    Ihm wurde speiübel.
    Walt Scheel hatte in der Küche gesessen, wo Bev gerade einen Kuchen backte, und schlenderte nun aus reiner Gewohnheit zum vorderen Fenster, um das Haus der Kranks zu beobachten. Zuerst konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken, doch dann erstarrte er. Da oben, direkt neben dem Schornstein, spähte Luther über den Dachfirst. Und dann sah Walt, wie langsam Frostys schwarzer Zylinder sowie sein Kopf zum Vorschein kamen. »Bev!«, brüllte Walt.
    Luther richtete sich auf, blickte sich rasch um, als sei er ein Einbrecher, stützte sich am Schornstein ab und begann, an Frosty zu ziehen und zu zerren.
    »Das ist nicht dein Ernst«, sagte Bev und wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. Walt konnte vor Lachen nichts erwidern. Er griff nach dem Telefon, um Frohmeyer und Becker anzurufen.
    Als Frosty für die ganze Straße zu sehen war, schob Luther ihn vorsichtig zur Vorderseite des
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