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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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ich sie einholte, lehnte sie totenbleich am Geländer. Ungeduldig winkte sie mir wegzugehen.
    «Nein, nein – lassen Sie mich allein. Lassen Sie mich einfach ein paar Minuten in Ruhe. Gehen Sie runter zu den anderen.»
    Zögernd gehorchte ich ihr. John und Lawrence waren im Esszimmer und ich gesellte mich zu ihnen. Wir schwiegen, aber ich denke, ich sprach für uns alle, als ich schließlich das Schweigen brach. «Wo ist Mr. Inglethorp?»
    John schüttelte den Kopf. «Er ist nicht im Haus.»
    Unsere Blicke trafen sich. Wo war Alfred Inglethorp? Seine Abwesenheit war rätselhaft und unerklärlich. Mir fielen Mrs. Inglethorps letzte Worte ein. Was bedeuteten sie? Was hätte sie uns noch sagen können, wenn sie die Zeit gehabt hätte?
    Schließlich hörten wir die beiden Ärzte die Treppe herunterkommen. Dr. Wilkins sah wichtig und aufgeregt aus und bemühte sich, seine innere Erregung hinter geziemend ruhigem Verhalten zu verbergen. Dr. Bauerstein blieb im Hintergrund, sein ernstes bärtiges Gesicht blieb unverändert. Dr. Wilkins sprach für beide. Er wandte sich an John:
    «Mr. Cavendish, ich hätte gern Ihre Zustimmung zu einer Obduktion.»
    «Ist das notwendig?», fragte John eindringlich. Ein schmerzliches Zucken flog über sein Gesicht.
    «Unbedingt», sagte Dr. Bauerstein.
    «Sie wollen damit sagen…?»
    «Dass weder Dr. Wilkins noch ich unter diesen Umständen einen Totenschein ausstellen können.»
    John neigte den Kopf.
    «In diesem Fall bleibt mir nichts übrig als zuzustimmen.»
    «Vielen Dank», sagte Dr. Wilkins rasch. «Wir schlagen vor, dass sie morgen Abend stattfindet – vielmehr heute Abend.» Er warf einen Blick zum Fenster. «Unter diesen Umständen lässt sich eine gerichtliche Untersuchung der Todesursache kaum vermeiden. Diese Formalitäten sind nötig, aber ich bitte Sie, machen Sie sich deshalb keine Sorgen.»
    Es gab eine Pause, dann zog Dr. Bauerstein zwei Schlüssel aus seiner Tasche und reichte sie John.
    «Das sind die Schlüssel zu den zwei Zimmern. Ich habe sie abgeschlossen und meiner Ansicht nach sollten sie momentan auch verschlossen bleiben.»
    Die Ärzte verabschiedeten sich und gingen.
    Mir war eine Idee gekommen und ich fand, dass nun die Zeit gekommen war, darüber zu sprechen. Ich zögerte dennoch etwas, denn ich wusste, dass John jede Art von Publicity verabscheute. Er war ein unbekümmerter Optimist, der allen Scherereien möglichst aus dem Weg ging. Es könnte also schwierig werden, ihn von der Vernünftigkeit meines Plans zu überzeugen. Da Lawrence der weniger konventionelle und phantasievollere war, meinte ich mit ihm als Verbündeten rechnen zu können. Zweifellos war jetzt der Augenblick gekommen, wo ich die Führung übernehmen musste.
    «John, ich möchte dich etwas fragen.»
    «Ja?»
    «Erinnerst du dich, dass ich dir mal von meinem Freund Poirot erzählt habe? Der Belgier, der hier wohnt? Er war vor dem Krieg ein außerordentlich berühmter Detektiv.»
    «Und?»
    «Ich möchte, dass du mir gestattest, ihn zu engagieren – damit er diese Angelegenheit untersucht.»
    «Was – jetzt? Vor der Obduktion?»
    «Ja, Zeit ist wichtig – falls – falls da etwas Übles im Spiel ist.»
    «Blödsinn!», schrie Lawrence wütend. «Meiner Meinung nach bildet sich Bauerstein das alles ein! Wilkins hätte an so was nicht im Traum gedacht, bis Bauerstein es ihm in den Kopf gesetzt hat. Wie alle diese Wissenschaftler hat dieser Bauerstein einen Tick. Gifte sind sein Steckenpferd, also wittert er sie natürlich überall.»
    Ich muss gestehen, dass mich Lawrence’ Einstellung überraschte. Selten hatte er sich so heftig zu irgendetwas geäußert.
    John zögerte. «Mir geht es da anders als dir, Lawrence», sagte er schließlich. «Ich möchte Hastings gern freie Hand geben, obwohl ich gern noch etwas warten würde. Wir wollen ja keinen unnötigen Skandal heraufbeschwören.»
    «Nein, nein», rief ich eifrig, «ihr braucht davor keine Angst zu haben. Poirot ist die Diskretion in Person.»
    «Also gut, dann handle so, wie du es für richtig erachtest. Ich überlasse es dir. Aber wenn es so ist, wie wir vermuten, dann liegt der Fall klar genug. Gott möge mir verzeihen, wenn ich ihm Unrecht tue.»
    Ich sah auf meine Uhr. Es war sechs. Ich war entschlossen, keine Zeit zu verlieren.
    Doch ich gestattete mir fünf Minuten Verzögerung. Ich suchte so lange in der Bibliothek, bis ich ein medizinisches Buch fand, das die Beschreibung einer Strychninvergiftung enthielt.

Viertes
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