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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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vergessen, die ich zufällig mit angehört hatte, aber sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte sie nicht aus meinem Gedächtnis löschen. Was hatte Mrs. Cavendish mit der Angelegenheit zu schaffen?
    Als ich zum Essen herunterkam, war Mr. Inglethorp im Salon. Sein Gesicht war so verschlossen wie immer, und wieder fiel mir auf, wie seltsam unecht der Mann aussah.
    Mrs. Inglethorp kam als Letzte nach unten. Sie wirkte immer noch aufgewühlt, und während der Mahlzeit herrschte ein sonderbar angespanntes Schweigen. Mr. Inglethorp war ungewöhnlich schweigsam. Sonst umgab er seine Frau immer mit kleinen Aufmerksamkeiten, brachte ihr ein Kissen als Rückenstütze und spielte insgesamt die Rolle des ergebenen Gatten. Gleich nach dem Essen zog sich Mrs. Inglethorp wieder in ihr Boudoir zurück.
    «Lass mir den Kaffee hier servieren, Mary», rief sie. «Ich habe nur noch fünf Minuten, bis die Post abgeholt wird.»
    Cynthia und ich setzten uns an das offene Fenster des Salons. Mrs. Cavendish brachte uns unseren Kaffee. Sie wirkte aufgeregt.
    «Wollt ihr jungen Leute etwas Licht oder genießt ihr das Zwielicht?», fragte sie. «Bringst du Mrs. Inglethorp ihren Kaffee, Cynthia? Ich schenke ihn schon mal ein.»
    «Bemühe dich nicht, Mary», sagte Mr. Inglethorp. «Ich werde ihn Emily bringen.» Er goss eine Tasse ein und trug sie vorsichtig aus dem Zimmer.
    Lawrence folgte ihm und Mrs. Cavendish gesellte sich zu uns.
    Eine Zeit lang saßen wir schweigend beisammen. Es war eine herrliche Nacht, warm und still. Mrs. Cavendish fächelte sich mit einem Palmwedel frische Luft zu. «Es ist fast zu heiß», murmelte sie. «Wir werden ein Gewitter bekommen.»
    Ach, leider sind solche Zeiten der Harmonie immer nur von kurzer Dauer! Mein Paradies wurde durch den Klang einer wohl bekannten und herzlich verhassten Stimme aus der Eingangshalle brutal zerstört.
    «Doktor Bauerstein!», rief Cynthia aus. «Was für eine seltsame Zeit für einen Besuch.»
    Ich sah eifersüchtig kurz zu Mrs. Cavendish hinüber, aber sie schien völlig unbeeindruckt und die zarte Blässe ihrer Wangen veränderte sich nicht.
    Einige Augenblicke später führte Alfred Inglethorp den Doktor herein, der lachend behauptete, er befände sich nicht in einer salonfähigen Aufmachung. Er bot auch wirklich einen traurigen Anblick, weil er buchstäblich von oben bis unten mit Schlamm bespritzt war.
    «Was haben Sie denn nur angestellt, Herr Doktor?», rief Mrs. Cavendish.
    «Bitte entschuldigen Sie vielmals», sagte der Doktor. «Ich hatte wirklich nicht vor, hereinzukommen, aber Mr. Inglethorp bestand darauf.»
    «Na, Bauerstein, Sie sehen ja höchst bedauernswert aus», sagte John, der gerade aus der Halle hereinkam. «Trinken Sie eine Tasse Kaffee und erzählen Sie uns, was Sie angestellt haben.»
    «Danke, gern.» Lachend erzählte er, wie er eine sehr seltene Farnart an einer unzugänglichen Stelle entdeckt hatte. Bei seinen Bemühungen, sie zu pflücken, hatte er den Halt verloren und war schmachvoll in einen Teich gerutscht.
    «Die Sonne trocknete mich bald», fuhr er fort, «aber leider ist mein Aufzug nicht gerade gesellschaftsfähig.»
    In diesem Moment rief Mrs. Inglethorp Cynthia zu sich und das Mädchen lief raus in die Halle.
    «Bring doch eben rasch meinen Aktenkoffer nach oben, meine Liebe. Ich will ins Bett gehen.»
    Die Tür zur Eingangshalle stand weit offen. Als Cynthia aufstand, hatte ich mich ebenfalls erhoben, und John stand neben mir. Es gab deshalb drei Zeugen, die beschwören konnten, dass Mrs. Inglethorp ihre noch volle Kaffeetasse in der Hand hielt. Mir war der Abend durch die Anwesenheit von Doktor Bauerstein total verdorben worden. Es schien so, als ob der Mann überhaupt nicht mehr gehen wollte. Aber dann stand er schließlich doch auf und ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    «Ich begleite Sie noch bis zum Dorf», sagte Mr. Inglethorp.
    «Ich muss mit unserem Verwalter noch etwas wegen der Abrechnungen besprechen.» Er wandte sich an John. «Ihr braucht deshalb nicht aufzubleiben. Ich nehme den Hausschlüssel mit.»

Drittes Kapitel

Die Nacht der Tragödie
     
    D amit der folgende Teil meiner Erzählung verständlicher wird, füge ich einen Plan des ersten Stockwerks des Herrenhauses bei.
    Zu den Dienstbotenzimmern gelangt man durch die Tür B. Sie sind vom rechten Flügel aus nicht erreichbar, wo sich die Zimmer der Inglethorps befanden.
     

     
    Mir erschien es wie mitten in der Nacht, als Lawrence Cavendish mich weckte.
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