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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd
Autoren: Agatha Christie
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wenn der Priester, der darum wusste, gleich darauf umgebracht wurde.

7
     
    V on den anderen drei Hausbewohnern konnte Lejeune nichts Neues erfahren. Alle drei hatten Mrs Davis kaum vom Ansehen gekannt.
    Auch die Frau, die sich bei der Polizei gemeldet hatte, wusste nichts Besonderes zu berichten. Sie war Katholikin und kannte Pater Gorman nur flüchtig. Sie hatte gesehen, wie der Geistliche aus der Benthall Street kam und in das kleine Café ging. Das war alles.
    Doch Mr Osborne, der Besitzer der Apotheke an der Ecke der Barton Street, konnte da schon mehr sagen.
    Er war ein kleiner, glatzköpfiger Mann mittleren Alters, hatte ein rundliches, kluges Gesicht und trug eine Brille.
    »Guten Abend, Inspektor«, begrüßte er Lejeune. »Bitte, kommen Sie in mein Büro.« Einladend hob er den Klappdeckel der altmodischen Theke und sie gingen zusammen durch einen mit Flaschen und Glasbehältern voll gestellten Gang, wo ein junger Mann sachkundig Arzneien abfüllte, in ein kleines Zimmer mit einem Tisch, Schreibtisch und einigen Lehnstühlen. Mr Osborne schloss die Tür, zog noch einen Vorhang vor und setzte sich, indem er gleichzeitig Lejeune den zweiten Stuhl anbot. Er lehnte sich vor, seine Augen glitzerten freudig erregt.
    »Zufälligerweise kann ich Ihnen vielleicht wirklich helfen. Wir hatten einen sehr ruhigen Abend, in der Apotheke war nicht viel zu tun, und meine junge Angestellte versah den Dienst. Am Donnerstag hatten wir bis acht Uhr abends offen. Draußen wurde der Nebel immer dichter, sodass nur wenige Leute vorbeikamen. Ich stand in der Tür und dachte bei mir, die Wetterprognose habe also diesmal ausnahmsweise Recht behalten. – So stand ich also eine Weile da und auf einmal sah ich Pater Gorman um die Ecke biegen. Ich kannte ihn natürlich, wenn auch nicht persönlich. Eine schreckliche Sache, dieser Mord an einem so beliebten Mann! Er ging in Richtung West Street – das ist die nächste Abzweigung links, wie Sie ja wissen werden. Ein paar Schritte hinter ihm kam ein anderer Mann. Ich hätte mir gar nichts dabei gedacht, wenn er nicht plötzlich stehen geblieben wäre, direkt gegenüber meiner Tür. Da wandte ich den Kopf und sah, dass Pater Gorman auf einmal ganz langsam ging; so, als ob er intensiv über ein Problem nachdächte und dabei alles andere vergaß. Dann aber besann er sich wieder und ging rascher. Und gleichzeitig setzte sich auch der andere Mann erneut in Bewegung; er rannte beinahe. Ich dachte mir – soweit ich überhaupt dachte –, es sei vielleicht ein Bekannter des Paters, der ihn einholen wolle, um ihm etwas zu sagen.«
    »Aber tatsächlich könnte er ihm auch einfach gefolgt sein?«, wollte Lejeune wissen.
    »Jetzt bin ich sogar überzeugt davon – aber im Moment kam mir das natürlich nicht in den Sinn. Bei dem dichten Nebel verlor ich sie dann beide aus den Augen.«
    »Könnten Sie diesen Mann wohl etwas näher beschreiben?«
    Der Ton des Inspektors zeigte, dass er sich von dieser Frage wenig versprach. Er erwartete die üblichen Allgemeinplätze, doch Mr Osborne erwies sich als ein viel besserer Beobachter als die meisten Menschen.
    »Nun, ich glaube schon«, erklärte der Apotheker selbstzufrieden. »Es handelt sich um einen großen Mann…«
    »Wie groß etwa?«
    »Nahezu ein Meter achtzig, würde ich sagen. Das kann aber auch täuschen, weil er sehr dünn war. Abfallende Schultern und einen sehr starken Adamsapfel. Er trug das Haar ziemlich lang, denn es guckte unter seinem steilen Filzhut hervor. Große Hakennase, sehr auffallend. Über die Farbe seiner Augen kann ich natürlich nichts sagen, denn ich sah ihn nur von der Seite. Seinem Gang nach zu schließen, dürfte er ungefähr fünfzig Jahre alt gewesen sein.«
    Lejeune schätzte die Entfernung vom einen Bürgersteig der Straße zum anderen ab… und wunderte sich. Er wunderte sich sogar sehr.
    Eine derart genaue Beschreibung, wie er sie durch den Apotheker erhalten hatte, konnte zweierlei bedeuten. Entweder besaß der Mann eine besonders lebhafte Einbildungskraft – und der Inspektor war an dergleichen gewöhnt, besonders bei Frauen. Sie machten sich einfach ein Bild davon, wie ihrer Meinung nach der Mörder auszusehen hatte, und gaben dieses ganz getreu wieder. Aber solche falschen Porträts enthielten meistens verräterische Einzelheiten wie wild rollende Augen, überhängende Brauen oder vorstehende Unterkiefer. Die Schilderung von Mr Osborne dagegen klang wie die Beschreibung eines wirklichen Menschen. In diesem
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