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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd
Autoren: Agatha Christie
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eigentlich selten Gedanken, nicht wahr? Ich möchte sagen, es ging ihr recht gut, sie hatte eine gute Stelle und konnte mit dem Leben zufrieden sein. Aber sie gehörte nicht zu den Menschen, die überall ihr Herz ausschütten müssen. Doch als sie krank wurde…«
    »Ja, was geschah da?«, drängte Lejeune.
    »Verärgert war sie zuerst, als sie die Grippe bekam. Es würde alle ihre Pläne über den Haufen werfen, meinte sie. Sie könne ihre Verabredungen nicht einhalten und so weiter. Aber Krankheit ist Krankheit, daran lässt sich nun einmal nichts ändern. So blieb sie also im Bett, kochte sich ihren Tee auf dem Gaskocher und nahm Aspirin. Ich riet ihr, doch den Arzt kommen zu lassen, aber davon wollte sie nichts wissen. Gegen die Grippe gebe es nur eins: im Bett bleiben und sich warm halten. Und ich solle ihr lieber nicht in die Nähe kommen, um mich nicht anzustecken. Als es ihr etwas besser ging, brachte ich ihr heiße Suppe und Toast und gelegentlich einen Reispudding. Natürlich fühlte sie sich schwach – das ist bei Grippe immer so. Aber es war nicht schlimmer als bei anderen, möchte ich sagen. Sie saß dort am Kamin und ich erinnere mich, dass sie einmal sagte: ›Wenn man nur nicht so viel Zeit zum Nachdenken hätte. Ich möchte nicht denken müssen, das hilft ja doch nichts.‹«
    Lejeune blickte Mrs Coppins sehr aufmerksam an und sie erwärmte sich für ihr Thema.
    »Ich gab ihr ein paar Zeitschriften zum Lesen, aber sie hatte keine rechte Lust dazu. Einmal bemerkte sie: ›Wenn die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten, dann ist es besser, nichts darüber zu wissen, meinen Sie nicht auch?‹ Und ich beruhigte sie: ›Natürlich, Sie haben ganz Recht, meine Liebe.‹ Darauf meinte sie: ›Ich bin mir nicht sicher – ich weiß ja nichts Bestimmtes. Alles, was ich getan habe, war immer ganz korrekt. Mir selbst habe ich nichts vorzuwerfen.‹ Darauf gab ich ihr zur Antwort: ›Sicher nicht, meine Liebe.‹ Aber ich fragte mich, ob vielleicht in ihrer Firma nicht alles mit rechten Dingen zuging und ob ihr etwas davon zu Ohren gekommen sein mochte. Aber sie hatte wohl das Gefühl, das ginge sie nichts an.«
    »Sehr gut möglich«, stimmte Lejeune zu.
    »Nun, dann erholte sie sich und nahm ihre Arbeit wieder auf. Ich sagte ihr, es sei bestimmt noch zu früh, aber sie wollte nichts davon hören. Doch wie Recht hatte ich! Am zweiten Abend kam sie mit hohem Fieber nachhause, das sah ich sofort. Sie kam ja kaum die Treppen hinauf. ›Sie müssen sofort einen Arzt rufen‹, sagte ich zu ihr – aber nein, sie wollte nicht. Am nächsten Tag wurde es schlimmer und schlimmer; ihre Augen waren ganz glasig, die Wangen brannten wie Feuer und ihr Atem ging schwer. Gegen Abend keuchte sie… und sie brachte die Worte kaum heraus: ›Ein Priester, ich muss mit einem Priester sprechen! Rasch – sonst ist es zu spät!‹ Aber sie wollte nicht unseren Vikar haben, es musste unbedingt ein römisch-katholischer Priester sein. Ich hatte nicht gewusst, dass sie katholisch war, hatte nie ein Kruzifix oder einen Rosenkranz bei ihr gesehen.«
    Doch Lejeune wusste, dass sie ein Kruzifix besessen hatte; es war zuunterst in ihrem Koffer versteckt. Er sagte nichts darüber, sondern lauschte weiter dem Bericht.
    »Ich sah den jungen Mike auf der Straße und schickte ihn zu diesem Pater Gorman von St. Dominic. Dann rief ich sofort das Krankenhaus und den Arzt an.«
    »Sie führten den Priester zu ihr hinauf, als er kam?«
    »Ja, und dann ließ ich sie mit ihm allein.«
    »Hat Mrs Davis oder der Pater etwas gesagt?«
    »Das könnte ich nicht mit Bestimmtheit behaupten. Ich schwatzte selbst – sagte, hier sei der Priester, und gleich würde es ihr wieder besser gehen, nur um sie zu beruhigen.
    Aber jetzt erinnere ich mich, dass sie etwas bemerkte, als ich die Tür schloss… etwas über ›Schlechtigkeit‹ und ›bekennen‹. Ja, und dann noch etwas anderes – von einem Pferd muss es gewesen sein, vielleicht über Pferderennen. Ich setze selbst manchmal einen Shilling, aber man hört jetzt so viel, dass es bei diesen Rennen nicht immer mit rechten Dingen zugeht.«
    »Schlechtigkeit«, wiederholte Lejeune betroffen. Das Wort stimmte ihn nachdenklich.
    »Diese Katholiken müssen doch ihre Sünden bekennen, ehe sie sterben, nicht wahr? So wird es gewesen sein.«
    Lejeune zweifelte nicht daran, dass es sich so verhielt. Aber dieses Wort – es schien so seltsam! Schlechtigkeit…
    Es musste schon etwas Außergewöhnliches bedeuten,
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