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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben
Autoren: Wolf Haas
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gelächelt. Weil sie hat es dem Brenner an der Nasenspitze angesehen, dass er ihm gefällt. Oder hat sie auch in erster Linie gelächelt, weil sie endlich gefunden hat, was sie in der voll gestopften Schublade die längste Zeit gesucht hat.
    Foto war es keines. Aber leichter ist dem Brenner dadurch natürlich auch nicht geworden, da wäre ihm ein Foto noch ungefähr von hier bis zur Hölle und zurück lieber gewesen als das, was ihm die Frau Marie jetzt mit beiden Händen zitternd vors Gesicht gehalten hat.
    »Ist das das, was ich glaube, dass es ist?«, hat der Brenner gefragt, und im selben Moment hat er gespürt, wie sein Gewicht ihn durch den Boden in das Pasolini hinunterzieht.
    Die Frau Marie hat die über dreißig Jahre alte Walther von ihrem verunglückten Freund mit beiden Händen festgehalten und so gezittert, dass er gefürchtet hat, allein vom Zittern könnte ein Schuss losgehen.
    Und in dem Moment, wo er begreift, dass wirklich die alte Walther vom Saarinen die Mordwaffe war, spürt der Brenner schon, wie sein Gewicht ihn auch noch durch den Terrazzo-Boden der Pasolini-Bar in den Keller hinunterzieht.
    »Ich hab mein Leben lang zu der Lüge vom Köck geschwiegen. Aber er hat unbedingt wieder damit anfangen und meinem Schwiegersohn das Leben zur Hölle machen müssen.«
    Und in dem Moment, wo er begreift, dass die Soili erst durch den Erpressungsversuch vom Köck die Wahrheit über den Tod ihres Vaters erfahren hat, zieht ihn sein Gewicht auch noch durch den Kellerboden in die Erdkruste hinunter.
    »Das war eine einzige große Lüge vom Köck, dass der Saarinen selber in den Plafond geschossen hat«, hat er die Frau Marie aus ein paar hundert Metern Entfernung sagen gehört. »Die Soili hat so lange keine Ruhe gegeben, bis ich gesagt habe: Das würde mich schon sehr interessieren, womit der geschossen haben soll. Wo ich ihm doch die Pistole noch in letzter Sekunde abgebettelt habe, bevor er mit euch zu der Raiffeisenkasse gefahren ist.«
    Und während er begreift, dass die Frau Marie ihrer Tochter auch die Waffe gezeigt haben muss, um zu beweisen, dass ihr Vater den Schuss nicht abgegeben haben kann, spürt der Brenner, wie es ihn noch durch ein paar Kilometer Granit hinunterzieht. Und während er spürt, wie sein Gewicht ihn durch die gesamte Sialzone und auch noch aus der Sialzone hinaus und in die ConradDiskontinuität hineinzieht, hört der Brenner sich zur Frau Marie sagen: »Wenn man eine Waffe in der Hand hat, kann sie auch leicht einmal losgehen.«
    Weil du darfst eines nicht vergessen. Eine Waffe in der Hand eines emotional aufgewühlten Menschen ist zehnmal gefährlicher als eine Waffe in der Hand eines Profikillers, weil Gefühle immer tödlich.
    »Das hab ich ihm auch gesagt«, hat er aus ein paar Kilometer Entfernung die Stimme der Frau Marie gehört.
    Weil Missverständnis, die Frau Marie hat geglaubt, der Brenner redet von damals, aber er hat jetzt im eigenen Interesse nur noch von jetzt geredet. Er war nicht ganz sicher, ob die Frau Marie ihm die Waffe nur zeigen will, quasi Beweis für die Unschuld vom Saarinen, oder ob sie damit auf ihn zielt, weil sie ihre Tochter vor dem Brenner schützen will.
    »Du und der Köck, ihr habt die alte Geschichte wieder aufgebracht in Graz. Und irgendwie muss der Erwin sich verplappert haben. Und die Soili hat dann keine Ruhe mehr gegeben, bis ich ihr alles haarklein erzählt habe«, hat er die empörte Frau Marie sagen gehört, während er gespürt hat, wie sein Gewicht ihn auch noch auf der anderen Seite aus der Conrad-Diskontinuität hinauszieht und in die Basaltschicht hinein, die den gesamten Erdball umgibt, sprich Simazone.
    Und während es ihn immer tiefer in die Simazone aus schwerem Basalt hineinzieht, fällt dem Brenner ein, dass sein Großvater ihn nie Simon genannt hat, sondern immer Sima, quasi altmodisch, aber bevor ihm das richtig bewusst wird, spürt er schon, wie es ihn schon wieder aus der Simazone und aus der Erdkruste hinaus, sprich in den Erdmantel hineinzieht, und was sind vierzig Kilometer Erdkruste gegen dreitausend Kilometer Erdmantel, weil sein Gewicht zieht ihn jetzt wie den reinsten Mister Universum dreitausend Kilometer durch den Erdmantel, und wenn du schon einmal so weit bist, zieht es dich auch noch aus dem Erdmantel hinaus und in den Erdkern hinein, frage nicht, und dann natürlich siebentausend Kilometer Erdkern.
    Und erst in dem Moment, wo es zu spät ist, merkt der Brenner, dass es ihn auch noch aus dem Erdkern
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