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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck
Autoren: Anne B Ragde
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kommen?

    »Dann nehmen wir die Puzzlespiele. Ich habe zwei Müllsäcke gefunden, reicht das?«, rief Ib aus dem Nähzimmer. Mutter rannte zu ihm hinüber, barfuß, heulend vor Lachen.
    »Die Puzzlespiele, ja! Die hatte ich fast vergessen! Es wird mir ein wahres Vergnügen sein, sie in Müllsäcke zu stopfen. Am liebsten würde ich ein Freudenfeuer damit veranstalten !«
    Die meisten waren in die Schachteln zurückgelegt worden, auseinander gepflückt, nachdem sie sie einmal vollendet hatte. Viele aber waren auf Karton geklebt worden, mühsam und präzise, wie im Triumph. Winzige Teile. Drei- oder fünfhundert oder sogar tausend pro Spiel.
    Zwei volle Säcke mit Puzzlespielen.
    »Vielleicht würde sich eine Kinderstation in einem Krankenhaus darüber freuen«, schlug ich vor.
    Sie lachten mir ins Gesicht, wie aus einem Munde: »Ha!«
    »Puzzlespiele?« Stian stand mit interessierter Miene vor uns. Der Einzige hier, der nüchtern war. Ib und Mutter hörten auf zu lachen. Sie tauschten einen Blick.
    »Vielleicht möchtest du eins?«, fragte Ib. »Zur Erinnerung an deine ... Urgroßmutter?«
    Sie fanden einen von fröhlichen Menschen umstandenen Oldtimer, im Hintergrund grüne Hügel und blaues Meer, vermutlich ein irgendwo an der Riviera aufgenommenes Foto. Das hätten sie wissen sollen, diese Leute, die lachend das Auto umstanden und sich arglos fotografieren ließen, dass sie eines Tages von einer Puzzlespielmaschine zerhackt werden würden, quer durch ihr Gesicht, im Zickzack über ihren Leib, die Fingerspitzen abgeschnitten.
    »Aber damit warten wir, bis wir wieder zu Hause sind«, sagte ich. »Sonst kann uns ein Stück verloren gehen. Vielleicht sogar das allerwichtigste.«

    Nach ein paar Stunden verflog ihr Elan. Lotte lockte mit Essen und verschwand schon früher. Und nach Schweinebraten und großen Mengen Rotwein gingen Mutter, Stian und ich zum Schlafen zurück zu Omas Haus.

    Ich konnte sie im Wohnzimmer hören, nachdem ich mit Stian ins Bett gegangen war. Und ich beschloss, mich schlafen zu lassen, nicht aufzustehen, um mit einer mutterlosen Tochter allein zu sein. Eine Mutter war mehr als genug. Ich schlief ein und träumte, dass Oma mit mir sprach. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie flüsterte: Weiter, als dass wir im selben Moment lachen und weinen, können wir Menschen es nicht bringen.

I ch erwachte an einem neuen Tag und spürte, dass das Haus voller Menschen war, den Menschen, die hierher gehörten, und einem Menschen, der nie wieder durch diese Zimmer gehen würde. Stian lag nicht neben mir. Ich war allein und war nur ich selber. Es war halb zwölf, ich hatte ungewöhnlich lange geschlafen. Ich zog mich an und ging hinaus in den Garten. Stian war in etwas in der Hecke vertieft, er winkte mir mit einem Arm gleichgültig und abweisend zu. Mutter hatte den Kopf in den Springbrunnen gesteckt, sie trug alte fliedergrüne Gummihandschuhe und gehörte einwandfrei hierher.
    »Warum magst du das Bild nicht?«
    »Guten Morgen. Welches Bild?«
    »Guten Morgen. Das, das ich gestern bekommen habe. Das Foto.«
    »Das von der Nutte?«
    »Das weißt du nicht. Ob sie eine Nutte war.«
    »Es ist ein altes Bild. Nackte Menschen gab es damals nur auf Gemälden, nicht auf Fotos. Es war unerhört. Mein Vater hat es gehasst.«
    »Und du auch.«
    Sie richtete sich auf und sah mir ins Gesicht. »Das war typisch für meine Mutter, es aufzuhängen. Eine Provokation. Sie haben sich deshalb gestritten.«
    »Aber du? Warum gefällt es dir nicht?«

    Sie las ein totes Blatt von ihrem einen Handschuh und riss es in kleine, gleich große Stücke. Sie rieb die Handschuhe aneinander, wie ein Kind in Gummihosen, das unbedingt pissen muss, seine Beine.
    »Ich wusste, dass es ein Bild war, das sich nicht gehörte, das Unfrieden stiftete.«
    »Aber jetzt bist du erwachsen, Mutter. Gefällt es dir noch immer nicht?«
    »Nein. So was gefällt mir nicht.«
    »So was?« Ich versuchte, nicht zu lächeln, was gar nicht schwer war.
    »Bettgymnastik. Das gefällt mir nicht.«
    Sie hatte sich abgewandt. Noch immer mit dem Rücken zu mir, die Gummihandschuhhände energisch in die Hüften gestemmt. »Warum glaubst du, lebe ich allein? Und habe in all den Jahren allein gelebt ... seit du auf der Welt bist? Alle Männer wollten das. Ich will es nicht. «
    Sie beugte sich über den Satyr. Der lachte patinagrün in ihr Gesicht, mit stechendem und staubigem Blick.
    »Ist es nur deshalb?«, fragte ich.
    »Vielleicht. Möglicherweise werden wir
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