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Das Engelsgrab

Das Engelsgrab

Titel: Das Engelsgrab
Autoren: Jason Dark
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aus ihrem Mund, und sie drehte mir den Kopf zu.
    Zuerst schaute sie mich und den neben mir stehenden Suko an wie zwei Fremde. Dann stöhnte sie leise auf und hob die Hand mit einer müden Bewegung.
    »Toby ist weg!« flüsterte sie.
    Uns ging der eine Satz unter die Haut. Lilian weinte nicht und schrie auch nicht. Sie hatte nur etwas gesagt, das auch zutraf und ihr so schwer zu schaffen machte.
    »Warum sagen Sie denn nichts? Mein Junge ist weg. Er hat ihn geholt. Da war plötzlich ein Monstrum. Ich habe es auf dem Dach gesehen. Es kam an…«
    »Belial«, sagte ich.
    »Ist er ein Engel? Hatte Flügel. Er packte Toby.« Sie schüttelte den Kopf und redete tonlos weiter. »Nein, das war nicht nötig. Toby ging auf ihn zu, als wäre der andere ein Freund. Der schloss ihn in seine Arme. Dann sind sie beide weggeflogen.« Lilian hob ihren Blick, um mich anschauen zu können. »Weggeflogen«, sagte sie, und ihre Stimme kiekste. Sie sprach jetzt wie ein Kind. »Einfach so. Nichts anderes ist passiert. Sie flogen weg, wie ein großer Vogel, der sich meinen Jungen einfach geholt hat.«
    »Ja, das wissen wir, Mrs. Cramer.«
    Sie kam noch immer nicht über den Vogel hinweg. »Aber er ist kein Vogel, nicht wahr?«
    »Das ist er nicht.«
    »Er hatte Flügel.«
    »Er ist so etwas wie eine Engel, Mrs. Cramer.«
    »Ist er denn ein Todesengel?«
    Ich hütete mich davor, es zu bestätigen und erklärte ihr, dass Belial ein Engel der Lügen ist.
    Lilian Cramer ging nicht darauf ein. »Was will er Toby? Wohin hat er ihn gebracht? Ich will es wissen. Ich muss es wissen. Ich will ihn zurückhaben.«
    »Sie werden Ihren Sohn zurückbekommen, Mrs. Cramer, das verspreche ich Ihnen.«
    »Das kann doch keiner.«
    »Doch, Mrs. Cramer. Wir versuchen es. Das heißt, wir versprechen Ihnen, dass wir Toby zurückbringen. Sie werden ihn heil und gesund wieder in die Arme schließen können.«
    »Ja, ja…«
    Ich gab Suko ein Zeichen mit den Augen. Er verstand und ging bereits auf die Tür zu. Ich wollte auch nicht länger mit Lilian Cramer reden. Sie war wieder in tiefe Gedanken versunken, als hätte sich ihr Geist in eine fremde Welt zurückgezogen.
    Auf leisen Sohlen verließen Suko und ich die Wohnung der Cramers.
    Vor der Tür im Treppenhaus blieben wir stehen. »Kannst du dir vorstellen, John, wohin Belial den Jungen geschafft hat?«
    »Es gibt nur eine Möglichkeit.«
    »Richtig, John«, sagte Suko, obwohl er mich nicht hatte aussprechen lassen. »Auf den Friedhof der Gerechten und der Kinder…«
    ***
    Belial war das Böse. Belial war stark. Belial war der verlängerte Arm des zuerst gefallenen Engels Luzifer, und er hatte mit seiner gewaltigen Kraft die Engelerscheinung vertrieben und selbst die Regie übernommen. Zusammen mit dem Trumpf, einem elfjährigen Jungen, einem Kind, das er fest im Griff hielt.
    Toby zitterte. Bestimmt nicht nur, weil sein Oberkörper nackt war, nein, jemand wie er musste auch die Kälte spüren, die von einer Gestalt wie Belial ausging. Da gab es keine Wärme bei ihm. Er war ein Monster, er war ohne Gefühl. Er verbreitete Angst, und diese Angst wiederum war die Quelle der Kälte.
    Auch Claudine Lanson bewegte sich nicht. Sie hatte die Veränderung zwar erlebt und war von ihrer Euphorie in eine Depression gerissen worden, aber zu fassen und zu begreifen, dass alles anders ein sollte, das wollte ihr noch nicht in den Kopf.
    Vorbei war die Wärme. Wie weggefegt der wunderschöne Duft. Keine Rosen mehr, kein Jasmin. Kein schimmerndes, weiches Licht. Die Kreuze auf den Kindergräbern lagen wieder eingetaucht in die Dunkelheit der Umgebung. Nur der Mond gab noch etwas Licht ab, doch es war kein Vergleich zur Helligkeit der Engel.
    Claudine hatte ihnen vertraut. Sie hatte sie als mächtig eingeschätzt.
    Nun musste sie erleben, wie schnell ihre Engel plötzlich vertrieben worden waren. Da hatte nur dieses Scheusal aufzutauchen brauchen, und so war die Welt wieder dem Bösen verfallen.
    Die Frau schaute ihren unheimlichen Gast an. Es war dunkel, kein Licht fiel gegen sein Gesicht. Trotzdem sah er schlimm aus. So grau und schattig, als wäre er selbst aus der Dämmerung herausgebrochen worden. Die mächtigen Flügel standen an den Schultern über. Sie waren auch so dunkel, als wären sie dem Verfall anheim gefallen, doch daran wollte Claudine nicht glauben.
    Für sie war das andere Tor einer Engelwelt geöffnet worden. Die Tür zum Bösen, zu den Schlünden der Hölle, denn genau dort war dieser Verdammte entlassen
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