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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht
Autoren: Olivier Ameisen
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Dostojewskis Die Dämonen; oder an die Kurtisane Violetta in Verdis La Traviata. Susan Sontag hat in ihren Büchern Krankheit als Metapher und Aids und seine Metaphern die dabei wirksame Dynamik im Hinblick auf Krebs und Aids eindrücklich geschildert.
    Ich hatte große Angst vor einer moralischen Verurteilung meines Trinkverhaltens, und niemand urteilte härter über mich als ichselbst. »Man hält mich für einen intelligenten Menschen mit Willenskraft. Ich sollte in der Lage sein, meinen Drang nach Alkohol zu kontrollieren. Wenn die Leute herausfinden, dass ich ein Trinker bin, werden sie erkennen, was für ein Blender ich bin.«
    Das Bild wird zusätzlich noch dadurch kompliziert, dass manche Menschen in der Lage sind, ihr Suchtverhalten mithilfe von 12- Schritte-Programmen wie dem der AA und häufig verschriebenen Medikamenten wie Revia, Campral und Antabus zu kontrollieren. Aber für die große Mehrheit der Menschen mit Suchterkrankungen reicht das nicht aus. Für mich reichte es definitiv nicht aus. Das soll nicht heißen, dass die AA-Treffen mir nicht halfen. Sie halfen durchaus. Sie waren die kritische Unterstützung, ohne die ich vielleicht nicht überlebt hätte, bis ich in Baclofen eine wirksame Medikation fand. Sie lehrten mich viel darüber, meine Krankheit zu akzeptieren, und über meine Leidensgefährten und mich, aber sie konnten mein Verlangen nach Alkohol nicht dämpfen und auch nicht die unkontrollierbare Angst, die mich zum Trinken trieb.
    Der Gedanke, auf Alkohol zu verzichten, entsetzte mich. Ohne Alkohol wäre ich ein verängstigtes Wrack. Ich hatte auch Angst davor, mein Alkoholproblem meinen Freunden und Kollegen einzugestehen. Ich fürchtete ihre Verachtung, und weil ich meinte, ich müsse in der Lage sein, mein Trinken unter Kontrolle zu halten, erschien es mir gerechtfertigt, dass sie mich verachteten. (Naiverweise nahm ich an, nur wenige Ärzte hätten ein Alkoholproblem. Ich wusste noch nicht, dass rund zehn Prozent der Ärzte, wie auch rund zehn Prozent der allgemeinen Bevölkerung, irgendwann in ihrem Leben alkoholabhängig werden, dass ein viel höherer Prozentsatz in beiden Gruppen Problemtrinker sind und dass nach Angaben der British Medical Association Ärzte ein dreimal höheres Risiko als der Bevölkerungsdurchschnitt haben, infolge Alkoholmissbrauchs eine Leberzirrhose zu entwickeln. 2 )
    In den nächsten beiden Monaten nach meinem Aufenthalt in der Notaufnahme mied ich Alkohol. Ich rief meinen neuen »Sponsor«,wie es bei den Anonymen Alkoholikern heißt, regelmäßig an und arbeitete sehr lange in meiner Praxis, damit ich keine freie Zeit zum Trinken hatte. Und im Juni fuhr ich in die Schweizer Alpen, seit Kindertagen ein magischer Ort für mich. Aber das Wandern in den Bergen und die ruhigen Abende nach einem guten Abendessen verfehlten diesmal ihre Wirkung und brachten mir keine Erholung. Ich hatte seit 63 Tagen nichts getrunken, aber in mir war kein Frieden. Mein Trinkverhalten hatte meine Berufstätigkeit bedroht, sogar mein Leben. Ich musste mit jemandem darüber sprechen.
    Ich beschloss, André Gadaud anzurufen, den ich 1984 kennengelernt hatte, als er französischer Generalkonsul in New York wurde. Nach mehreren Einsätzen auf hochrangigen diplomatischen Posten war André französischer Botschafter in der Schweiz geworden. Außerdem war er »Zivilist«, wie die Anonymen Alkoholiker sagen, das heißt, er trank »ganz normal« Alkohol. Wir hatten uns immer sehr gut verstanden, und ich dachte, es könnte mir helfen, wenn ich ihn in mein Geheimnis einweihte.
    André bot freundlicherweise an, von der französischen Vertretung in Bern herzukommen und mit mir im Hotel Quellenhof in Bad Ragaz, der eleganten Bäderstadt, zu Mittag zu essen. Am Tisch schlug er vor: »Lass uns Champagner bestellen und anstoßen, schließlich haben wir uns so viele Jahre nicht gesehen.«
    »Ich möchte lieber keinen Champagner«, wandte ich ein.
    »Warum denn nicht? Es ist so lange her!«
    Ich wusste nicht, was ich dagegen sagen sollte, und willigte ein. Es schien mir unmöglich, Champagner abzulehnen, wenn er von einem französischen Botschafter vorgeschlagen wurde, und genauso unmöglich, zu offenbaren, dass mein Trinkverhalten mittlerweile ein ernstes Problem darstellte. Ich fürchtete, André würde denken, dass ich nicht genug Willenskraft besaß, und die Achtung vor mir verlieren. Es schien mir besser, zu schweigen und nicht zu riskieren, durch die Enthüllung den Besuch und womöglich sogar
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