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Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht
Autoren: Olivier Ameisen
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passiert, wenn du trinkst« hatte ich als Empfehlung bei den Anonymen Alkoholikern (AA) gehört, wo ich immer noch ein ziemlicher Neuling war.
    Mein Gespräch mit Jeff Steiner war für uns beide frustrierend gewesen. Er wollte mir zwar gern helfen, aber seine Kompetenzen passten nicht zu meinen Problemen. Ich brauchte einen Berater für ein Kleinunternehmen, nicht jemanden, der Deals zwischen Großunternehmen abwickelte.
    Nach dem Verlassen von Jeffs Wohnung schossen meine Gedanken wild durcheinander. Die Art, wie ich meine Praxis führte, ohne auf die Kosten zu achten, würde wahrscheinlich in Frankreich mit seinem System einer allgemeinen Krankenversicherung besser funktionieren als in den Vereinigten Staaten, und ich überlegte, ob ich in meine Heimatstadt Paris zurückkehren sollte. Aber ich liebte mein Leben in New York. 1991 hatte ich die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen, und mir gefiel die Vorstellung, Bürger eines Landes zu sein, das so viele Ideale mit dem Land teilte, aus dem ich stammte. Meine Praxis warf zwar keinen Gewinn ab, aber ich hatte viele Patienten, und meine Arbeit war außerordentlich befriedigend. Unter meinen Patienten waren reiche und berühmte Leute ebenso wie betagte Damen aus Harlem, deren Behandlungen von Medicare oder Medicaid bezahlt wurden, und mittellose Patienten, und diese Mischung gefiel mir. Der Kreis meiner Freunde und Bekannten war herrlich anregend – anregender, als ich es mir anderswo vorstellen konnte. Nein, das wollte ich nicht aufgeben.
    Aber mit meiner Praxis konnte es nicht unendlich so weitergehen, und die dauernde Angst aufgrund der finanziellen Sorgen wurde allmählich zu einer Quelle regelrechter Panik. Ich kämpfte mit einem tiefen Gefühl des Versagens und lebte mit der Furcht, alle Welt würde erkennen, dass meine vermeintlichen Leistungen nur Schwindel waren, ein Kartenhaus, das jeden Augenblick einstürzen konnte.
    Dieses Gefühl war mir nicht neu. Mein ganzes Leben hatte ich unter Unzulänglichkeitsgefühlen gelitten, war ich mir vorgekommen wie ein Hochstapler, der demnächst enttarnt werden würde. Schon lange bevor ich mit dem Trinken angefangen hatte, hatte ich Therapien gemacht. Ehrlich gesagt, hatten sie mir bei meinen Ängsten nicht viel geholfen. Genauso wenig wie das Xanax, das mir verschrieben wurde.
    Der eine Scotch bei Jeff hatte mir bewusst gemacht, wie groß mein Durst war. Ich ging in ein chinesisches Lokal, um auch etwas zu essen, aber schließlich aß ich nichts, sondern trank nur einen doppelten Wodka nach dem anderen. Und dann … saß ich blutend in dem Taxi.
    Es war nicht mein erster alkoholbedingter Blackout. Die Blackouts häuften sich, ganze Abende waren aus meinem Gedächtnis ausradiert. Und jetzt war ich zum ersten Mal körperlich verletzt aus einem Blackout aufgetaucht. Bisher hatte ich mich immer nur sehr geschämt, wenn ich überlegte, was für peinliche Dinge ich wohl gesagt oder getan haben mochte.
    Am nächsten Morgen dachte ich kurz darüber nach, welche lustige Geschichte ich zusammenfantasieren könnte, um das Pflaster auf meiner Stirn zu erklären. Ich entschied, dass ich zu verkatert war, um arbeiten zu können, und rief meine Praxishelferin an, damit sie den Patienten, die an diesem Tag kommen sollten, neue Termine gab. Seit ich immer mehr trank, hielt ich mich sehr genau an meine oberste Pflicht als Arzt: vor allem nicht schaden. Ich fuhr nicht mehr Auto. Und ich setzte niemals einen Fuß in meine Praxis oder ins Krankenhaus, wenn ich nicht absolut nüchtern war.
    Aber ich weigerte mich immer noch, mein Trinkverhalten als problematisch zu betrachten. Ich dachte, ich müsse nur lernen, kontrolliert zu trinken. Diese Illusion wurde durch einen wohlmeinenden Freund und durch einen ebenfalls wohlmeinenden, aber, wie ich glaube, vor allem irregeleiteten Therapeuten genährt, die sich beide bemühten, mir beizubringen, ein maßvoller Weintrinker zu werden statt ein Rauschtrinker, der bis zum Exzess Scotch und Wodka konsumiert. Ich ging sogar zu den Anonymen Alkoholikern mit der Vorstellung, dort Tipps zu erhalten, wie ich mein Trinken besser in den Griff bekommen konnte, statt ganz damit aufzuhören.
    Nicht alle glaubten, ich sei ein Kandidat für maßvolles Trinken. Die beiden Freundinnen, die mich zu meinem ersten AA-Treffen begleiteten, glaubten es nicht. Die eine war ein langjähriges AA-Mitglied, Dichterin und Schriftstellerin und eine wunderschöne Frau, die ein bisschen aussah wie Katharine Hepburn. Sie
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