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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition)
Autoren: Scarlett Thomas
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herumzuspielen, klappte es hoch und dann wieder herunter.
    «Dein Hund ist wirklich goldig», sagte er.
    «Vielen Dank. Ich weiß. Und so geduldig, obwohl du ihr Ohr misshandelst.»
    «Mir scheint, das gefällt ihr.»
    «Da könntest du recht haben.»
    «Was ich eben noch sagen wollte … Ich habe mich in letzter Zeit viel mit kulturellen Vorahnungen im Zusammenhang mit der Titanic beschäftigt. Und da habe ich an dich denken müssen.» Rowan schaute zu Boden, dann auf B.s Ohr und sah schließlich mich an. «Also, ich dachte, das könnte dich vielleicht interessieren. Und ich hatte überlegt, ob ich mich nicht mal wieder bei dir melden soll.»
    «Du kannst dich jederzeit bei mir melden.» Ich wurde ein bisschen rot. «Schreib mir einfach eine Mail. Was sind eigentlich kulturelle Vorahnungen?»
    «Wenn jemand über eine Katastrophe schreibt oder ein Bild davon malt, bevor sie eintritt. Das war damals recht verbreitet.»
    «Im Ernst?»
    «Ja.»
    «Dann ist das also irgendwie übernatürlich?» Ich spürte, wie ich unwillkürlich die Nase rümpfte.
    «Nein. Kulturell. Solche Vorahnungen sind kultureller, nicht übersinnlicher Natur.»
    «Inwiefern?»
    «Das ist wie … Hast du schon mal was von den Cottingley-Feen gehört?»
    Ich schüttelte den Kopf. «Nein.»
    «Davon muss ich dir bei Gelegenheit mal genauer erzählen. Ein hochinteressantes Fallbeispiel dafür, wie Menschen sich entscheiden, an etwas zu glauben, und woran sie überhaupt glauben wollen. Ich würde mal vermuten, wenn man nur lange genug sucht, findet sich für alle übersinnlichen Erscheinungen irgendeine kulturelle Erklärung.»
    «Die waren aber nicht mit auf der Titanic , oder?»
    «Bitte?»
    «Die Feen.»
    «Nein. Die gab es in meiner alten Heimatstadt.»
    «Ich dachte, deine Heimat liegt im Pazifik.»
    «Nachdem ich von San Cristobal weggezogen war, habe ich einige Zeit in Cottingley gewohnt, bevor ich nach Cambridge gegangen bin. Meine Mutter stammte ursprünglich von dort, obwohl sie natürlich längst tot war, als ich San Cristobal verlassen habe. Das mit den Feen lag damals aber auch schon lange zurück.» Er runzelte die Stirn. «Irgendwann erzähle ich dir die ganze Geschichte, aber das führt jetzt gerade zu weit. Ich dachte, du hättest vielleicht schon mal davon gehört. Eigentlich albern, überhaupt davon anzufangen.»
    «Hm. Also, ich wüsste einen guten Witz über Schafe, der auch davon handelt, wie Menschen sich entscheiden, an etwas zu glauben. Falls dich das interessiert.»
    Er grinste im Dämmerlicht. «Erzähl.»
    «Okay. Ein Biologe, ein Mathematiker, ein Physiker und ein Philosoph fahren gemeinsam mit dem Zug durch Schottland. Da sehen sie draußen vor dem Fenster ein schwarzes Schaf. ‹Alle Schafe in Schottland sind schwarz!›, erklärt der Biologe. Der Physiker wendet ein: ‹Das können Sie jetzt so pauschal nicht sagen. Aber immerhin wissen wir, dass ein Schaf in Schottland schwarz ist.› Der Mathematiker streicht sich den Bart und sagt: ‹Im Grunde können wir doch nur sicher sein, dass ein Schaf in Schottland auf einer Seite schwarz ist.› Der Philosoph schaut weiter aus dem Fenster, denkt eine Weile nach und meint schließlich: ‹Ich glaube nicht an Schafe.› Mein Vater hat diesen Witz immer als Beleg für die Gefahren der Philosophie angeführt, aber ich frage mich immer schon, ob er nicht eigentlich eher etwas über die Gefahren der Wissenschaft aussagt. Mein Vater ist übrigens Physiker.»
    Rowan lachte. «Das gefällt mir. Ich mag Schafe. Und ich glaube auch an sie.»
    «Hast du gewusst, dass sie sich Gesichter über zehn Jahre hinweg merken können und Personen auch auf Fotos wiedererkennen?»
    «Das heißt, wenn sie uns mit dieser dümmlichen Miene anstarren, prägen sie sich eigentlich unser Gesicht ein?»
    «Wahrscheinlich.»
    «So wie diese Automaten in Heathrow. Aber wozu?»
    «Wer weiß? Vielleicht reißen die Schafe irgendwann die Weltherrschaft an sich. Oder planen das zumindest. Eigentlich ein guter Aufhänger für den nächsten Zeb Ross. Muss ich unbedingt an Orb Books weitergeben.»
    Eigentlich durfte ich gar nicht über Zeb Ross reden: Jeder, der an der Serie beteiligt war, musste eine Geheimhaltungserklärung unterschreiben. Aber im Alltag kann man eben nicht einfach so tun, als würde man keinen Roman schreiben, während man daransitzt. Außerdem wusste ohnehin fast jeder, dass die Bücher von Ghostwritern verfasst wurden – bis auf die Leser anscheinend, allen voran diejenigen, die Zeb mit
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