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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition)
Autoren: Scarlett Thomas
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sie ja wieder rein.»
    «Und wie war es in Griechenland?»
    Ich runzelte die Stirn. «Ich bin dann doch nicht gefahren. Ich hatte hier einfach zu viel anderes zu tun.»
    «Oh. Wie schade.»
    «Aber was ist denn mit dir? Was macht das Kapitel?»
    «Ach, ich stoße ständig auf neue Sachen, die ich lesen muss. Gerade bin ich mit einem hundertseitigen Gedicht von Hans Magnus Enzensberger über den Untergang der Titanic fertig geworden.»
    «Ist es gut?»
    «Ich leih’s dir mal. Es geht auch noch um anderes als nur die Titanic . In einem Gesang warten die Mitglieder irgendeiner religiösen Sekte auf einem Berggipfel auf den Weltuntergang, der an dem Nachmittag noch stattfinden soll. Als die Welt dann doch nicht untergeht, müssen sie alle losziehen und sich neue Zahnbürsten kaufen.»
    Ich musste lachen, obwohl mir gleichzeitig einfiel, dass Rowan mir schon mal ein Buch geliehen und ich es bisher trotz aller guten Vorsätze nicht gelesen hatte. Es war ein Agatha-Christie-Roman mit dem Titel Das Geheimnis von Sittaford , und ich wusste beim besten Willen nicht, weshalb Rowan es mir geliehen hatte. Er war einmal an einem kurzfristigen Projekt im Zusammenhang mit Agatha Christies Haus am Fluss Dart beteiligt gewesen und hatte dafür ihre sämtlichen Bücher gelesen. Aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass er etwas darin gefunden hatte, das mich interessieren würde. Außerdem beschäftigte ich mich ohnehin schon zu viel mit Genreliteratur.
    «Hört sich gut an», sagte ich. «Ein bisschen wie das Buch, das ich gerade rezensieren muss. Mit dem Unterschied, dass das kein gutes Buch ist.»
    «Worum geht es denn?»
    «Darum, dass das Universum niemals wirklich enden wird und wir alle ewig leben. Ich finde es furchtbar, obwohl ich gar nicht so recht weiß, warum.»
    «Ich würde nicht ewig leben wollen.»
    «Nein. Ich auch nicht.»
    «Wozu sollte man auch ewig leben wollen? Dieses eine Leben ist doch schon schlimm genug.»
    «Genau das dachte ich auch.»
    «Geht’s dir auch wirklich gut?», fragte er noch einmal.
    «Ja. Hast du eben gesagt, du lernst Yoga, oder habe ich mir das nur eingebildet?»
    «Nein, das hast du dir keineswegs eingebildet. Ich lerne tatsächlich Yoga.»
    «Und warum?»
    Er zuckte die Achseln. «Knieprobleme. Ich werde eben alt. Außerdem sind wir erst vor kurzem von einem Yoga-Urlaub in Indien zurückgekommen. Weihnachten haben wir dieses Jahr ausgelassen, allein dafür hat es sich schon gelohnt. Und ein paar Eisvögel haben wir bei der Gelegenheit auch gesehen.»
    Rowan tätschelte B. wieder den Kopf, und ich wandte den Blick ab. Ich wusste, dass dieses beiläufige «wir» sich auf ihn und Lise bezog. Das war mir bei Paaren, die lange zusammen waren, schon häufig aufgefallen: Sie sagten eigentlich nur noch «wir». Wenn ich meine Mutter anrief und sie fragte, wie es ihr gehe, antwortete sie jedes Mal: «Gut geht’s uns!» Ich sprach nie so über Christopher und mich. Vielleicht würde das ja mit der Zeit noch kommen. Nicht, dass ich groß Gelegenheit hätte, es einzusetzen, denn wir unternahmen so gut wie nie etwas gemeinsam. Und es ging uns auch nie gut. Erst recht nicht mehr, seit ich Rowan geküsst hatte, denn mir war klar: Wenn ich in der Lage war, jemand anderen zu küssen, würde ich nie wieder Christopher küssen können. Ihm war das in den letzten fünf Monaten allerdings kaum aufgefallen.
    «Und wie geht es Lise?», fragte ich. «Schreibt sie noch an ihrem Buch?»
    Zweimal jährlich gab ich in einem baufälligen Hotel in Torquay einwöchige Workshops für die Ghostwriter von Orb Books. Sie dienten vorwiegend dazu, Autoren, die ihr Talent schon unter Beweis gestellt hatten, mit den Feinheiten der Handlungsentwicklung und -strukturierung und mit der «Methode» von Orb Books vertraut zu machen. Doch der Verlag hatte nichts dagegen, wenn ich auch ein paar Leute aus der Gegend dazuholte, und so hängte ich jedes Mal, wenn wieder ein Workshop anstand, im Buchladen am Hafen Zettel auf, und meistens kamen daraufhin drei bis vier Interessenten. Letztes Jahr war Lise unter den Teilnehmern gewesen. Sie hatte vor, ihren Ruhestand zumindest teilweise darauf zu verwenden, einen autobiographischen Roman über die Kriegserlebnisse ihrer Eltern zu schreiben. Aber soweit ich wusste, war sie noch gar nicht pensioniert. Sie pendelte zweimal die Woche mit dem Zug nach London und arbeitete ansonsten zu Hause.
    Rowan zuckte die Achseln. «Ich glaube nicht.»
    «Ach.»
    Er beugte sich vor und fing an, mit B.s Ohr
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